Ja, Frau Richterin, ich will
Ihnen erzählen, wie es wirklich war, ganz genau, mit allen Einzelheiten. Ich
hatte es nämlich eilig an dem Nachmittag – was musste der Alte … äähhm, ich
meine, es war noch für 11.00 Uhr eine Besprechung angesetzt; ich bitte Sie! An
einem Freitag! Und um 15.00 Uhr war doch schon die Beerdigung, also die
Trauerfeier. Und da will man doch nicht zu spät kommen. Meine Mutter hat immer
zu mir gesagt: Rudi, hat sie gesagt, jetzt trödel doch nicht so, du kommst noch
zu deiner eigenen Beerdigung zu spät. Na ja, meine Beerdigung war das ja nicht,
sondern die von Kalle, von Karl-Heinrich mein‘ ich, aber wie ich so an meine
Mutter denke, bin ich ein bisschen aufs Gas, vielleicht ein bisschen viel,
jedenfalls stand da ein Blitzer und ich habe doch schon zwei Punkte in
Flensburg. Ich war ganz schön sauer und den Weg musste ich auch erst finden,
weil die Straße gesperrt war und das Navi immer „wenn möglich, bitte wenden“
gesagt hat, aber es war doch nicht möglich wegen der Sperrung und ich wusste
nicht, wo der verdammte Bergfriedhof sein sollte, weil da ist doch alles flach,
da gibt’s gar keinen Berg und in der Todesanzeige war sowieso gestanden, die
Trauerfeier findet in der Trauerhalle, Friedenstraße, statt. Aber Herbert hatte
angerufen: nee, wir müssen zum Bergfriedhof.
Und wissen Sie, Frau Richterin,
ich hab‘ so ein Sprechdings im Auto, so eine Alexa, die blöde Kuh – wie bitte?
Äh ja, also ein … ein Voice System, so was, mit dem man sprechen kann und was
dann macht, was man … wie? Ach so, Sie kennen das, Frau Richterin, jedenfalls
habe ich gesagt: „Alexa, ruf‘ Christa Herget an“, weil ich sagen wollte, dass
die Straße gesperrt ist, aber die blöde …. Ich meine, das System hat erst
gefragt, ob es Christa Herrgott anrufen soll und dass es keinen Herrgott kennt
und wie ich dann „Herget!!!“ gebrüllt habe, ja, gebrüllt, weil das Navi ja
dauernd sagte: „wenn möglich, bitte wenden“, hat diese Alexa schon richtig
beleidigt gefragt, wen sie anrufen soll. Da bin ich halt ein bisschen laut
geworden – aber geholfen hat es auch nichts. Und, Frau Richterin, dann hab‘ ich
ganz langsam und deutlich, jawoll, ganz deutlich gesagt, dann soll sie halt
Hannes Kopp anrufen, weil, verstehen Sie, der hätte Christa auch anrufen
können. Aber es hat wieder gedauert, bis diese blöde … die Alexa kapiert hat.
„Möchten Sie, dass ich Kopp, Hannes anrufe?“ hat sie schließlich ganz
hoheitsvoll gefragt. Na von mir aus. Und Hannes hat dann gesagt, dass es falsch
ist, zum Bergfriedhof zu fahren. Dass die Trauerfeier in der Friedenstraße ist
und ich mich beeilen soll. Christa hat er dann Gott sei Dank auch angerufen,
aber den Herbert hat er nicht erreicht.
Also bin ich die Umleitung wieder
zurückgefahren und das Navi hat jetzt geplärrt: „Eine Wegempfehlung kann nicht
gegeben werden“. Wie bitte? Nein, Frau Richterin, ausschalten konnte ich das
nicht, weil, ich hab‘ mich doch im Ort selber nicht ausgekannt und musste noch
die Friedenstraße finden. Jedenfalls fahr‘ ich auf den Bahnübergang zu und dann
gehen auch noch die Schranken runter – ausgerechnet, wo ich es doch so eilig
hatte! Und wie dann das Bähnlein vorbei war, ja, da gingen die Schranken nicht
mehr hoch, überhaupt nicht mehr. Zehn Minuten hab‘ ich gewartet! Zehn Minuten!!
Wissen Sie eigentlich, wie lange zehn Minuten sind, wenn man zu einer
Beerdigung muss? Und irgendwann ist mir dann die Hutschnur geplatzt und ich bin
an der Schranke vorbeigefahren. Wissen Sie, es waren ja nur so Halbschranken
und die Strecke, die war ja auch gut einzusehen, einspurig, klar. Und wie ich
gerade so um die Schranke rumfahre, da plärrt diese blöde Alexa auf einmal:
„Möchten Sie, dass ich Herget, Christa anrufe?“ Und plötzlich steht vor mir ein
Polizeiauto und die winken mich raus und fragen, ob ich nicht wüsste, dass man
vor geschlossenen Schranken halten muss. Ja, und dann, Frau Richterin, dann
hab‘ ich einfach die Nerven verloren. Verstehen Sie mich bitte richtig: ich war
nervös und diese blöde Alexa wiederholte dauernd ihren Satz wie eine
hängengebliebene Schallplatte und dann steht da so ein Polizist, der keine
Ahnung hat und bestimmt nicht zu einer Beerdigung muss und da hab‘ ich ihn ein
bisschen geschüttelt. Wirklich nur ein bisschen und warum ihm gleich ein Zahn
rausgefallen ist, kann ich nicht erklären. Es kam ja auch gleich der Kollege
mit den Handschellen. Die waren rigoros und hatten gar kein Verständnis. Die
haben mich gleich mitgenommen. Das war auch nicht recht. Na ja, die Trauerfeier
hab‘ ich dann natürlich verpasst. Und, Frau Richterin, erkundigen Sie sich mal,
ob die Schranken nicht immer noch zu sind. Und die Alexa, die schenk‘ ich
Ihnen!
Sonja Meier
05.01.20
05.01.20