Wenn ich ein Vöglein wäre, würde ich Dinge sehen, die ich so niemals
sehen kann. Ich könnte den Wind zwischen meinen Federn spüren, elegant
in den Wolken schweben, dabei Melodien zwitschern, wundervolle Welten
entdecken oder einfach nur fliegen, fliegen, fliegen... Irgendwann würde
ich mir einen Ort suchen, mich ins sanfte Gras gleiten lassen, mir ein
einladendes Gehölz mit schützendem Bewuchs suchen, mich niederlassen um
ein Nest zu bauen. Wenn ich es will. Oder einfach weiter fliegen.
Ich
bin aber kein Vogel, ich bin sein Gegenüber und stehe hier, mitten im
Wald. Tief verankert, geben mir meine Wurzeln Halt. Aus dem Erdreich
ziehe ich meine Energie. Das Federvieh in seiner ganzen Vielfalt spürt
das und landet gerne in meinen weiten Verzweigungen. Meist kommen sie
luftig aus der Höhe, wippen vergnügt auf und nieder, knüpfen Kontakte,
trällern vergnügt und bringen mit ein Stück Leben von der weiten Welt
mit. Seltener kommen auch welche heran stolziert. Ich denke da an den
albernen Gockel und den eitlen Pfau. Ich muss nicht jedermanns Freund
sein. Ein kurzes Rascheln mit meinem Kleid genügt und schon huschen sie
davon.
In jungen Jahren suchten meine Nähe eher so Gesellen wie
Bachstelze, Steinschmätzer, Feldlerche, Goldammer, Wiesenpieper oder
diese Hänflinge. Lästig fand ich allerdings die Klappergrasmücken.
Lustig und lebensfroh waren sie alle miteinander, wie auch Rotkehlchen
und Spatz. Viel Spaß hatten wir zusammen, es war immer etwas los. Eines
hatten alle diese jungen, flatterhaften Möchtegern Herrn der Lüfte
gemeinsam: sie wollten vögeln. Viele habe ich in hohem Bogen unter
lautem Protest davongejagt.
Bewundert, meist aus der Ferne, habe
ich lange den wunderschönen Fischreiher. Elegant und selbstbewusst kommt
er des Weges. Eine tolle Ausstrahlung hat er. Irgendwann wurde mir
klar, dass auch er nur ein Kranich ist. Und die wissen ja nicht was sie
wollen. Ziehen hierhin, ziehen dorthin und nirgends sind sie zuhause.
Oder der kräftige, wunderschöne Adler, der seine Freiheit zu fliegen
genießt. Freiheit bedeutet ihm sehr viel. Seine Vielseitigkeit und seine
innere Stärke habe ich stets bewundert. Meist wenn er flog, gelandet
ist er nie bei mir.
Einige Blätterwechsel später kamen die an
Nestbau Interessierten zu mir. Ich hatte eine beträchtliche Höhe und die
Reife dazu erreicht und das, was ich zu bieten hatte, ließ sich sehen.
Ich bin eine recht anpassungsfähige und gesunde Kiefer. Warum nicht
zulassen, dass sich jemand bei mir einnistet? Mein immer grünes Gehölz
hat einiges zu bieten.
Zunächst klopfte der Specht an. Ein
passabler Handwerker, der sogleich auch seinen Werkzeugkoffer auspackte.
Aber den ganzen Tag das Gehämmere? Das ging mir durch Harz und Wurzeln
und verletzte meine empfindsame Rinde zu sehr. Außerdem soll der
Nachwuchs Nesthocker sein. Und wer will sich schon über lange Zeit
blockieren?
Danach gurrte sich ein Tauberich heran. Schön und
trotzdem nicht abgehoben. Das wundersame rein weiße Gefieder passte zu
ihm. Gerne verkündete, säuselte und girrte er sinnreiche Sprüche. Nicht
immer waren wir einer Meinung und meine Belange stießen auf Taubheit. Da
half auch die Liebe und Verbundenheit nicht.
Dann doch lieber
Meister Amsel mit seinem schwarzem Gefieder, einem braunen Blick und
solidem Wesen. Und der vor mir, hatte nicht nur einen besonderen
Dialekt, sondern war auch ein besonders stattliches Exemplar. Hätte ich
besser hin geschaut. Ein Nichtsnutz war er, der seine Brut woanders
deponierte. Zum Kuckuck!
Was war ich sauer. Aber im saurem Boden
kann ich überleben oder wie jetzt, in die Jahre gekommen, in leicht
kalkigem. Auch Liebes- und Wassermangel konnte ich wegstecken. Aber
beschissen haben mich einige. Und ich habe geblutet. Getröstet hat mich
der Uhu. Er ist heute noch mein bester Freund.
Dann kam der
Elstermann. Immer wieder. Von oben, von rechts, von links. Er umwarb
mich auf subtile Art. Geheimnisvoll und attraktiv beobachtete er mich,
kam mir aber nie zu nahe. Das schwarze Gefieder passt zu seiner Art,
weil es dunkel und dennoch schön ist. Es ist nicht so schwarz, wie die
der anderen Rabenvögel. Die Federn schwarz-weiße. Auch er ist ein wenig
in die Jahre gekommen.
Von Anfang an sagte er, dass er unabhängig
und frei sein wolle, aber nicht in die Ferne schweifen würde, wie der
Adler. Er gehöre zu den Elstern die alleine leben. Von Nestbauern hatten
meine Zweige die Nase voll. So ließ ich mich drauf ein, trotz unken des
Uhu, der mich wegen seiner diebischen Ader warnte.
Geistreich
und gesellig ist der Elstermann und gerne sehe ich mir das Sammelsurium
seiner glänzenden Gegenstände an, die er immer wieder in sein Nest
schleppt. Manchmal bin ich froh, dass er sein Nest nicht bei mir hat. Es
würde mich verbiegen. Und doch hätte ich ihn gerne bei mir.
Viele
harte Jahreszeiten liegen nun hinter mir. Um mich herum ist es licht
geworden. Die einen in meiner Nachbarschaft sind verheizt worden, andere
haben sich zum Hampelmann machen lassen. Einen hat der Blitz getroffen,
manche sind einfach abgestorben. Auch ich habe einige Kämpfe hinter
mir. Fremdkörper und andere Parasiten haben meine Kraft geschwächt.
Teile meiner Äste habe ich absterben lassen und abgeworfen, um zu
überleben. Nun bin ich nicht mehr astrein, dafür ist mein Stamm um
einiges breiter. Mein Anblick war einmal schöner. Aber auch das hat
seine Vorteile: Ich muss nicht mehr so viel Vogelvieh abschütteln.
Der
Elstermann kommt jetzt schon seit zig Baumringen nach wie vor an
sammelfreien Tagen zu mir. Beschissen hat er mich noch nie. Gut
arrangiert haben wir uns. Er hat seine Freiheit und ich meinen Standort.
Seit
kurzem taucht der Papagei bei mir auf. Was hat diesen Paradiesvogel
hierhin verschlagen? Aus einer fremden Welt kommt er und spricht in
fremder Sprache. Denke ich an ihn, kommen mir Piraten in den Sinn. Wo
mag er herkommen, der Exot? Amazonas, Brasilien, Rio …? Er bringt mein
Harz zum Fließen bis in die tiefste Wurzelspitze. Wenn er auf mir
landet, wird mir ganz anders. Mein Kieferduft betört ihn, an meinen
Zapfen knabbert er. Er lockt mit der Fremde, weckt Sehnsucht in mir,
lädt mich ein ihm zu folgen. Eine neue Welt entdecken? Ich blicke auf
meine Wurzeln, die verlässlichen, die mich stützen und halten. Wie soll
das gehen? Ich bin hier verankert. Weg von hier? Weg von meinem Leben?
Da
hebt das bunte Gefieder ab. Wie ein Regenbogen umfließt er mich. Es
entsteht eine Bö, ein Wind, nein ein Sturm, ein Sog. Das Erdreich gibt
nach. Meine gekrümmten Wurzeln bewegen sich, lockern sich, strecken
sich. Aus Lehm wird Sand. Treibsand. Er rieselt durch meine Wurzeln.
Hilfe, ich verliere meinen Halt. Ich verliere den Boden unter den Füßen.
Ich schlage mit meinen Ästen wie mit Flügeln, höre den Elstermann,
krarrrr, krarrrr. Er umkreist mich, flattert und sagt nicht: Bleib! Der
Uhu schweigt. Da hebe ich ab. Gewinne Höhe. Amazonas, Rio, Brasilien…
Ich komme.
Wenn ich ein Vöglein wär‘, würde ich fliegen, fliegen, fliegen …
© Frau Gunkelberg 2013