Donnerstag, 30. April 2015

Geschenkt

Frau L. kam zu Besuch. Ich hatte gezögert sie überhaupt hinein zu bitten.  So ungefragt, unangemeldet und einfach nur so, wie sie freundlich gemeint hatte. Außerdem hätte sie ein Geschenk für mich. Ein Geschenk? Na so was, na gut.
In Ruhe kramte sie ein transparentes Stifte Mäppchen mit verschiedenen Stifttypen in jeweils vier Farben rot, grün, blau und schwarz heraus. Sowie drei Blöcke, mit Linien, ohne Linien und Karos. Zwei Knöpfe in orange und rot umhäkelt, an denen noch die Wollknäuel hingen. Ich staunte nicht schlecht, was sich alles neben ihr auf meinem Sofa stapelte.
Ein schwarzer Baumwollbeutel mit einem goldenen Engel bedruckt war ihr Gesuchtes. Aus dem zauberte sie vier Dinge heraus, die sie fein säuberlich auf meinen polierten Couchtisch drapierte. Wie Fremdkörper lagen sie dort. Systematisch verschwanden ihre anderen Sachen wieder in den Sack. Zuletzt nahm sie ihre Brille von der Nase und versenkte auch diese.

Mit ihr ging auch ihr unruhiges Hinterteil, das auf meinem Sofa hin und her gerutscht war und meinen ordentlich drapierten Überwurf zum Absturz gebracht hatte.
Still war es, als sie weg war. Genauso still wie vorher, bevor sie da war. Nun war es allerdings anders still. Vier Optionen hatte sie mir mitgebracht, überlassen, dagelassen. Mein Wohnzimmer war voller als vorher.
Frau L. spinnt, da war ich mir gewiss. Warum kommt sie ungefragt her und schenkt mir Nonsens Gegenstände? Jawohl! Nonsens. Ich rümpfte die Nase. Gebraucht sehen die aus. Und sie passen auch nicht zusammen, ergeben keinen Sinn.
Am liebsten würde ich sie nehmen und weg schmeißen. Einfach so. Mit einem Wisch vom Tisch. Aber das ging ja nicht. Eines dürfe ich mir aussuchen, hatte sie gesagt, das sei ein Geschenk an mich. Morgen käme sie wieder und würde sie anderen drei abholen.
Nun lagen sie da. Stumm. Ich nahm das erste, einen schwarzen Fächer, in die Hand. Alt sah er aus. Auf einer Schmalseite war eine goldene Blumengirlande gemalt. Mit dem Daumen schob ich die Lamellen auseinander. Schwupp. Bunte Blumen breiteten sich aus. Ich fächelte mir Luft zu. Verrückt. Frau L. ist verrückt. Ich ließ ihn wieder einschnappen und legte ihn auf den Tisch zurück. Ein Fächer. Was sollte ich mit einem Fächer?
Als nächstes betrachtete ich den Gutschein für eine Beauty Behandlung. Aha. Was sollte ich mit einer Beauty Behandlung? Herausgeworfenes Geld. Ich legte ihn ein Stück zur Seite, weg von den anderen. Vielleicht konnte man ihn eintauschen und sich das Geld auszahlen lassen.
Dann war da noch ein Parkschein vom Nürnberger Flughafen. Abgestempelt, abgelaufen. Ich schnaubte kurz auf. Pah! Was sollte das denn? Verächtlich warf ich ihn auf den Couchtisch. Er rutschte, glitt, schlitterte über die glatte Oberfläche und kam kurz vor der Kante zum Stillstand. Wie ich.
Das Letzte zog mich an. Ein Stein. Ein Halbedelstein. Gebänderter Halbedelstein. Außen schwarz und innen mit weißem Ring. Hell, fast durchsichtig. Ist der echt?  Ja, er ist so gewachsen, verwachsen. Kühl lag er in meiner Hand. Glatt, gerundete Kanten. Keine Ecken, ein Handschmeichler. Kein schöner Stein, aber ein außergewöhnlicher, ein Unikat. Vorsichtig legte ich ihn auf den Gutschein. Dann daneben. Nach einer Weile fing ich an die vier Dinge aufzureihen. Fächer, Gutschein, Parkschein, Stein. Meine Hände blieben nicht still. Ich verschob, veränderte die Reihenfolge, durchmischte und noch einmal. Noch ein letztes Mal. Dann kamen meine Hände zur Ruhe, legten sich in meinen Schoß. Frau L. hat Recht, ich brauche nur eines der vier.

Als diese am nächsten Tag kam, sah sie mich erwartungsvoll an. „Und, für welches Geschenk haben Sie sich entschieden?“
„Ich hätte gerne den Stein. Ich möchte ihn wieder ins Rollen bringen.“
„Sehr schön“, lächelte mich Frau L. an. „Dann lege ich den Fächer noch obendrauf, damit Sie bei Stillstand sich frischen Wind zufächeln können.“
„Und was machen wir mit dem Parkschein?“
„Den abgelaufenen? Wie verpasste Chancen? Brauchen wir so was?“
„Eigentlich nicht.“
„Na dann weg damit!“
Einen Moment zögerte ich, dann zerfetzte ich ihn in kleine Stücke, warf die Schnipsel hoch, sah sie langsam hinabsinken und aus meinem Blickwinkel schwinden. Ein befreiendes Gefühl.
„Aber zu dem Beautytag, Frau L., zu dem gehen wir gemeinsam.“ Ich schaute sie erwartungsvoll an.
„Sehr gerne.“ Das taten wir dann auch. Es war der erste Tag seit Monaten, an dem ich meine Wohnung wieder verließ, wenn auch ein wenig wackelig. Es war an meinem 83igsten Geburtstag und ich war nicht alleine.


© Frau Gunkelberg 04/15