Montag, 17. Juni 2019

Janusköpfig (Felis silvestris catus)


Sie schmeichelt um meine Beine, kuschelt sich an meine Seite, schnurrt mich in den Schlaf. Ein zierliches, graubraun getigertes, seidenweiches Kuscheltier auf weißgesockten Samtpfoten. Eine lebendige Dekoration meines Bücherregals. Graziös sitzt sie zwischen Schlink und Rosendorfer, manchmal reibt sie sich an Kästner. Sie sitzt auf meiner Zeitung, wenn ich sie lese, und bin ich im Bad, sitzt sie auf dem Wannenrand.
Possierlich spielt sie ihre Spiele, bevorzugt mit einem Plastikkäpselchen, begräbt es unter sich, schussert es weg, springt hinterher, kugelt sich darüber, hält es fest. Manchmal legt sie es mir zu Füßen. Zu ihrem Mittagsschlaf liegt sie zusammengerollt, die weiße Schwanzspitze über der Nase, in der Mitte des Bettes. Ich habe es einmal nachgemessen: es ist wirklich genau die Mitte. Wenn sie sich freut, tanzen tausend kleine Herzen hinter ihren Augen, das ganze Gesichtchen lacht. In seligster Zufriedenheit, an den Menschen gekuschelt, tropft etwas Wasser aus ihrer Nase. Ich fühle den raschen Schlag ihres Herzens an meiner Seite. Sie schläft, bezaubernd, unschuldig, die zartrosa Sohle ihres Pfötchens, weich und verletzlich, dich an ihrem Gesicht.
Draußen ist sie ein Raubtier, eine Mörderin, gnadenlos, sadistisch, geräuschlos mit gespanntem Körper, die Sinne scharf, die Augen kalter, glitzernder blassgrüner Stein. Sie hat eine junge Amsel erbeutet, trägt sie im Maul, lässt sie los. Blutend flattert der Vogel. Die Alten fliegen kreischend Sturmangriffe. Die Katze krallt nach dem Vogel, schleudert ihn hoch, fängt ihn, beißt wieder. Die blanken, runden Augen der Amsel, starr, Angst und Schmerz in ihnen, ihre Schreie heiser, hilflos. Blut an der Katzenpfote, Blut auf den Steinen. Die Katze wiederholt ihr Spiel. Mir wir übel. Federnd trägt sie ihre Beute fort, ein Flügel schleift auf dem Boden. Minutenlang verharre ich bewegungslos in sinnloser Abscheu und Empörung, höre das laute Kreischen der Alten, das Piepen des Opfers, unregelmäßig, schwach. Irgendwann ist es still, ganz still, kurz schweigen sogar die Spatzen.
Abends ist sie wieder da, schmeichelt um meine Beine, erinnert mit sanften Gurrlauten an die Abendfütterung. Danach putzt sie sich ausgiebig; reinweiße Pfötchen, sauber ist sie, bis zur Schwanzspitze. Schnurrend kuschelt sie sich in die Sofadecke und sieht mich aus halbgeschlossenen, grünen Augen zufrieden an. Sie gähnt, rollt sich zusammen und schläft ein. Weich, unschuldig, die zarten blassrosa Sohlen schimmern unter dem weißen Fell.

In lyrischer Form:

Schnurrende Gefährten,
Seelenschmeichler, weich befellt.
Krallenbewehrte Jäger,
grausam in ihrer Art
gleichen sie uns.


Sonja Meier
24.03.19




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