Schreibzeit! Von
20.00 Uhr bis 21.00 Uhr wird geschrieben. Jawohl! Die Geschichte muss endlich
zu Papier. Weiß und blank liegt es vor mir, nun nicht wirklich weiß,
umweltfreundlich-recyclinggrau und liniert, aber unberührt rein, so lächelt es
mich einladend an. Ich setze mich aufrechter hin, spiele mit dem Stift, drehe
ihn langsam zwischen Mittelfinger und Daumen hin und her. Da fängt der
Heizkörper an zu schlagen, ein hartes, metallenes Bing! Kurz darauf ein
weiteres, lauteres, dann das nächste. Ich zähle die Sekunden zwischen den
Bings: eins, zwei, drei, Bing! Nach vier Bings ein Bing-bing. Mein Gott, ist
das nervtötend. Ich stehe auf, drehe kurz und schnell das Ventil nach rechts,
links, nochmal etwas nach rechts. Das Bing! wird zum Knackgeräusch. Also setze
ich mich wieder an den Schreibtisch und ziehe die Kappe vom Stift. Das weiße,
unberührte Papier blickt aufmunternd zu mir auf.
Der Titel! Ich bin
unschlüssig. Na ja … dann – dann nehme ich eben einen Arbeitstitel: Gefühle.
Ist schließlich die Aufgabe. Also, der Anfang. Der erste Satz ist wichtig.
Eigentlich weiß ich ja, was ich erzählen will, ich sehe die Protagonisten, den
Ort der Handlung, sogar, dass die Sonne scheint (noch!). Aber dieser erste Satz!
Rotwein. Die Inspiration des Geistes. Ich lege den Stift wieder weg und gehe
zum Weinschrank. Die Domina oder den Schwarzriesling oder doch lieber einen
Südfranzosen? Nein, lieber etwas Geradliniges, die Domina. Tiefes Dunkelrot,
aber ohne blaue Reflexe, dezenter Duft nach Johannisbeeren, vollmundig, ein
wenig Kirsche im Abgang. Wunderbar. Ich stelle das Glas auf das Bord über dem
Schreibtisch und greife wieder nach dem Stift. Das leere, recyclingweiße Papier
blickt mich auffordernd an.
Also der erste
Satz. Vielleicht so: Nun hatte sie die Ananas doch vergessen! Aber wie heißt
die, die das denkt, die Zerstreute, Abgelenkte? Ein weicher Vorname muss es
sein, hell, keinesfalls Dagmar etwas oder Marianne. Sigrid eventuell oder Eva
oder Elfi. Elfi ist gut, eine zarte Frau, die beschützt werden will, Ende
vierzig, Anfang fünfzig, nicht sehr selbstständig. Er, das Gegenstück, ein zur
Ironie und Jähzorn neigender Tyrann, deutlich älter als sie, Herr im Haus.
Unbedingt ein dunkler Name, Hubert, Rudolf? Nachdenklich genieße ich einen
Schluck Rotwein, stehe auf und hole mir die Zeitung. Die Todesanzeigen sind ein
Quell von Namen aller Generationen.
Alfred, Ekel Alfred, zu albern; Lothar, Wendelin, Johannes? Johannes hat
eine gewisse Schwere, nicht schlecht …Ha! Im Kapitalmarkt inseriert jemand um
ein Darlehen von 50000.--€ für ein Jahr. Sicherheiten nach Absprache. Das
stinkt doch zum Himmel!
Also, die Namen.
Johannes oder doch lieber Hubert. Hubert – kann ich schließlich immer noch
ändern. Ich schreibe drei Sätze, sie sind schlecht. Ich streiche sie wieder, fange
nochmal an, aber es will nicht werden. Die Personen sträuben sich, wollen nicht
agieren, werden starr und blass und seltsam fremd. Ich streiche wieder durch, wende
das Blatt und greife nach dem Rotwein. Das Glas ist leer, jetzt schon,
unfassbar! Das leere Papier starrt mich mahnend
an. Ich male einen Kelch an seinen Rand, langer Stiel, halb gefüllt. Nein! Kein
weiteres Glas Rotwein. Zuviel Alkohol stört die Fokussierung der Gedanken.
Schokolade! Nobelbitter mit Chili und doch noch einen winzigen Schluck Rotwein,
nur weil es so gut zusammenpasst. Ich lasse die Schokolande langsam im Mund
schmelzen, genieße ihre Schärfe und male Blüten an den Papierrand, dann eine
kleine Katze, ganz leicht in einem Zug, ohne abzusetzen. Sie kneift mir ein
Auge zu. Der Kater auf dem Sofa wittert Konkurrenz, streckt sich, macht einen
respektablen Buckel und tatzt geschmeidig näher. Ein kurzer, abschätzender
Blick und schon sitzt er auf dem Papier, das mich unter dem Katzenfell vorwurfsvoll
anglotzt. Der Kater schnurrt ungerührt und ich male noch ein paar Blümchen an
den Rand. Vielleicht sollte die Beziehung doch nicht so alt sein und die
Protagonisten jünger, noch nicht in Routine erstarrt und es ist ein
unwirtlicher November. Novembergrau, ideal für Trennung und Abschied. Befreiung?
Das geht im November genauso. Ich bade Schokolade in meinem Mund in Rotwein,
male Haus, Baum und Strichmännchen auf den Papierrand und streichle mit der
Linken den Kater, der sich jetzt auf dem Papier zusammengerollt hat. Das glotzt
nun nur mehr einäugig, dafür unverhohlen drohend. Du drohst mir?! Das sollst du
mir büßen! Was glaubst du, was du bist, du windiger Fetzen? Du bist nicht
länger weiß! Ich kritzle Linien, Kreise, Schraffuren, Wellen, alles kreuz und
quer und schön schwarz. Dann zerreiße ich den Fetzen, zerknülle die Teile zu
zwei Kugeln. – Da Kater, spiel sie zu Tode!! Der bewegt sich nicht und schaut
mich kryptisch an. Oder sehe ich da einen Tadel in den graugrünen Augen? Vor
mir kichert das leere Schokoladenpapier.
17.11.16
Sonja Meier
Sonja Meier