Einfach draufloslaufen, die Freiheit liegt so nah, fast vor den Toren der Stadt. Auf geht’s! „Wohlauf, die Luft geht frisch und rein!“ Was brauch ich eine Karte? Dieser Weg da lädt mich einfach ein, Schilder und Routenlenker gibt’s in der Stadt genug, hier Gottseidank nur Grün, Bäume, Stege, Pfade, verwunschene Senken, Schleichwege, die durch’s Unterholz mäandern. Wie doch die Natur immer wieder den Kopf durchschütteln kann! Dieser Buchenstamm ist eindeutig ein Elefantenbein, Vorhut einer monströsen Herde. Auf dem Bein des Urtiers, nein, bitte nicht – ein Schild: Pfeil nach links der Streuobstweg nach Partelstein. Im rechten Winkel Pfeil nach unten, nach unten? Okay, rechts unten nach Wirkelbach. Ich nehm‘ den dritten Weg, den ohne Richtungsschild. Ich will, dass heute alle Wünsche für mich offen bleiben. Lauf deinem Geheimnis nach! Sowas ist geil.
Gefühlte vier Kilometer weiter
nagelt mich ein Totempfahl fest, der in zwanzig Winkelvarianten nach
Glockenbach weist. So wie früher auf den Marktplätzen die Nostalgiewegweiser
die Weite der verlorenen Heimat im Osten wachhielten: Danzig 732 km, Königsberg
in Preußen 849 km, 975 km nach Memel, Kattowitz oder Oels.
Jesus, es gibt keine
unausgeschilderten Wege mehr!
Ich bestreite ja nicht, dass es
Schilder geben muss. Eines mit „Vorsicht Abgrund“ oder „Müllhalde – Besteigen
auf eigene Gefahr“ erfüllt schon einen Zweck, aber meine Freiheitssehnsucht,
„die Gedanken sind frei“, ein bisschen Vision – Quest im fränkischen Wald halt.
Ich brauche sie, ich bestehe auf der Magie des unbeschilderten Weges. Auch wenn
der Heimatverein Quendelbach in mühevoller Kleinarbeit den Tonscherbenweg im
Königswald neu ausgeschildert hat. Ich mag auch keine Hinweistafel, auf der
breit dargelegt wird, dass hier einmal eine Burg stand, die die Leuchtenberger
1368 an die Hennensteiner übergeben mussten und die dann 1440 dem Erdboden
gleichgemacht wurde. Ganz zu schweigen vom Peter-Handke-Gedächtnisweg, dem
Kohlberger Skulpturenweg oder dem Lyrikpfad, auf dem alle 300 Meter in Stein
gemeißelte Reime die Sonnenkraft, den Wuchs der Pflanzen und das Alter alter
Steine besingen. Und den Jakobsweg mit seiner Muschel mag ich schon gar nicht,
überall ist Jakobsweg, Deutschland ist bis Spanien ein Jakobsweg. I don’t like,
can’t smile.
Wo bin ich?
Schließlich lande ich auf einem
Kräuterriecheventweg mit Sportparcours in Glockenbach, wo ich garantiert nicht
hinwollte.
Der Freiheitsraub dauerte 19 km
und ich bin unangemessen müde. Was ist los mit meinem Kreislauf? Und warum bin
ich so depressiv?
In mir blinken Warntafeln auf:
„Follow me!“ In roten Buchstaben auf blauem Schirm „Kein Alkohol, keine
Kohlehydrate nach 17.00 Uhr mehr!“, gefolgt in flottem Pink auf Lila
„Frustrationsseminar im Maria-Bernstein-Centre buchen!“
Willkommen im reizenden
Glockenbachtal!
von Wilfried Christel
Foto Copyright @ Fürtherin
Hallo Wilfried,
AntwortenLöschenschön, dass wir endlich auch Texte von Dir auf der Seite haben. Danke für das inspiriernede Wochenende in Stierberg.
Viele Grüße
Heike