Sie wusste, dass das ein ganz entscheidendes Ereignis werden
würde. Der Bürgermeister würde selbst zum Gratulieren vorbeikommen, die Leute
vom Gemeindeblatt würden ein Foto machen. Bei der Goldenen erschien das dann automatisch.
Oh Gott, sie brauchte noch einen passenden Friseurtermin kurz davor. Die
Tochter war angewiesen, das kleine Häuschen
so umzuräumen, dass man eine Festtafel einrichten konnte. Der Sohn
schaffte Getränke herbei. Unmengen von Kuchen und kalten Platten waren
bestellt. Ob’s auch wirklich reicht? Ihr schwirrte der Kopf, alles hing an ihr,
dachte sie. Aber er musste ja doch die längste Zeit liegen, war eben so. Dann
rief sie nochmals die Gäste an. Sie wollte es direkt von ihnen hören, dass sie
auch ganz sicher kämen. Nein, macht euch doch keine Umstände mit Geschenken,
was braucht denn unsereins noch, Hauptsache ist, wir sehen uns. Langes
Nachdenken, lange Gespräche , was sie denn anziehen sollte. Welches Kleid
machte noch ein bisschen was her? Meinst du nicht doch lieber das plissierte
oder das braune, das seidene? Wer kehrt den Hof noch einmal gründlich?
Dann war der Tag der Goldenen ganz rasch da. Alles lief wie
am Schnürchen. Die Anrufe absolvierte sie tapfer, bemühte sich nach jedem
Klingeln um einen frischen Ton; gerade bei den Floskeln gelang das immer wieder
erstaunlich gut. Kam das Gespräch auf ihren Mann, zitterte ihre Stimme, ein
paar Atemzüge lang weinte sie dann in den Hörer. Aber sonst klappte alles. Sie
empfing die Gäste, lenkte Blumen und Geschenke auf den Gabentisch, dankte für
die artigen Glückwünsche und Komplimente. Ja, ja, alles Gute für die nächsten
50 Jahre, danke, du Schelm. Warum nicht ein Tänzchen wagen? Tapfer schaute sie
in die Fotokamera : das Glück festhalten und so lächeln, dass man später noch
gerührt sein würde von ihrer Art zu schauen. Danke, Herr Bürgermeister, dass Sie
persönlich, oh, Herr Pfarrer, wie schön, dass Sie auch verbeischauen. Ihrem
Mann hatte der Hausarzt eine Art Wunderspritze verpasst. Er konnte danach tatsächlich
Hände schütteln und ein paar von seinen alten Sprüchen und Witzen aufsagen.
Später wechselte sie an der Tafel öfter den Platz, ganz die zugewandte
Gastgeberin, wollte sie mit allen, die gekommen waren, auch persönlich reden.
Auf den Stühlen, auf denen sie gesessen hatte, hinterließ sie nasse, braune
Flecken im Polster. „Mutti, übernimm dich doch nicht. Bleib sitzen, die Leute
kommen doch zu dir her!“, sagte die Tochter verlegen.
„Aber, das macht mir doch nichts!“
Sie strahlte. Ihre Augen blitzten unter der Perücke hervor,
die sie seit der Chemo tragen musste. Ihre Goldene!
„Stellen Sie sich vor, wir feiern tatsächlich noch unsere
Goldene!“
Wilfried Christel
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