Ich fliege, ich schwebe. Welten rauschen an mir vorbei. Sonne, Mond und Sterne. Dabei fliegen nicht sie, sondern ich.
Kleine,
goldene Punkte aus dem Nichts, aus dem All, aus der Unendlichkeit.
Wachsen. Wachsen. Größer. Schneller – Husch vorbei. Hier, da, hin und
weg. Bin ich. Meine Augen blinzeln.
Ich kenne das Bild vom
Bildschirmschoner. Sterne entstehen und vergehen. In der Mitte, in der
rechten, in der Linken Ecke des 24ig Zollers, der Unendlichkeit. Anfang
und Ende. Wo fängt es an, wo hört es auf. Husch und schon vorbei, mit
Lichtgeschwindigkeit.
Ich schaue hinaus, zurück. Egal aus welchem
Bullauge ich aus meiner Kapsel hinaus glotze. Wie der Bulle auf der
Wiese. Glotz. Glotz. Kau, Kau. Ich kann ihn nicht finden, meinen
Heimatstern. Weg, zu weit weg bin ich.
Schwerelos bin ich hier drin.
Leicht, so leicht. Mein Körper schwebt, doch mein Herz ist schwer, so
schwer wie die gewichtigen Sterne um mich herum. Angestrahlt von der
Sonne, reflektiert vom Mond.
Wie war das mit dem Brechungsindex,
schießt es mir durch den Kopf? Hier bricht nix! Oh Gott mir wird
schlecht. Will nicht brechen, nicht abbrechen.
Weiter, weiter durch die Milchstraßen ohne Kühe, ohne grün.
Nur schwarzweiß, hell dunkel.
Hin und weg.
Kein Tag, keine Nacht.
Orientierungslos.
Ich
brauch was Festes. Festen Boden unter den Füßen. Festes Essen. Suche
das Firmament ab. Da, ne grünblaue Kugel mit zwei Monden, 2 Sonnen,
lächelt mich an.
Zoom mich hin, dock mich an. Erdanziehung greift, Kompression läuft, werde 3G schwerer, kleiner, fester, enger.
Willkommen im Körper! Gelandet, gestrandet.
Verdammter Traum, nicht auf dem Berg! Liege ihm zu Füßen. Rappel mich auf. Körper funktioniere! Wie mühsam.
Beschwer dich nicht. Du wolltest es so.
Rappel
mich auf. Um mich Wald, regennasser Wald. Nass die Stufen. Beine go.
Stufe um Stufe in Fels gehauen. Bedeckt mit Erde. Blätter ölig, faulig.
Eng und dunkel ist es hier. Lunge pumpt. Herz pocht. Tock. Tock. Tock.
Weiter in klammer Enge. Lichtpunkt oben, da oben. Felsen und Grün statt
matschiger Blätter und Fäulnis.
Stehen bleiben in Sonne, in Licht.
Stillstand. Nur Äußerlich und doch Stille. Ohr links brumm, rausch. Ohr
rechts summ, kling. Eine Biene, tatsächlich eine Biene. Weit weg ein
Motor im Leerlauf. Leerstand. Sinn hier, Sinn da, sinnlos.
Nichts außer dem Pochen meines Herzens. Es pocht, stolpert, hüpft hinaus, stolpert, fällt vom Felsen. Freier Fall. Weg.
Ich bleibe oben auf dem Berg. Es pocht in mir, ohne mein Herz, wie herzlos…
Es plumst in die Schubkarre mit dem roten Griff. Kollert hin und her, kommt zur Ruhe, pocht vor sich hin.
Da
kommt ER wider Zeit noch Raum aus dem Nichts. Was macht er hier? Nimmt
die Schubkarre und schiebt sie weg im Sauseschritt. Und ich steh hier
oben in 3G ohne Herz. So schwer. Herzklau.
Wächst so etwas nach,
kommt es wieder? Kommt ER wieder? Will nach Hause. Will ich das? Mein
Heimatstern, den gibt’s nicht mehr. Was will ich hier?
Erdenschwere
loslassen, losmachen. Beam mich weg. Beam mich hin, in meine Kapsel, im
Nirgendwo. Tschüss Josefstern. Mittendrin zwischen den Welten.
Mir
ist wieder leicht und gar nicht schwer. Lass außen alles an mir vorbei
ziehen. Nur beobachten, nichts verändern, nichts anfassen.
Poch,
poch. Der Raum um mich wird hell und bunt. Da ist es wieder bei mir,
mein Herz. Ich verschenks an meine Seele. Höhenflug, ich bin so frei.
Ausruhen darf ich mich jetzt...
© Frauke Gunkelberg, Foto Akire
Dienstag, 18. Juni 2013
Der Fichtenwald
Er zog die Tür hinter sich zu, und als er das Klicken des
Schlosses hörte, erinnerte er sich, keinen Schlüssel eingesteckt zu haben. Es
nieselte noch leicht. Luft! Etwas ziellos wandte er sich nach links. Rechts
stand der Opel, stark verbeult, das Ende der Stoßstange stak in der schlammigen
Pfütze davor. Auch so etwas!
Er vermied es hinzusehen und schritt fast automatisch aus,
dem Weg folgend. Regentropfen fielen auf seine Brille. Putz sie endlich einmal,
würde Hilde sagen. Kein Wunder, dass du nie was siehst. Er hatte, statt die
Herdplatte zurück auf eins zu stellen, auf sechs geschaltet. Die Spiegeleier
waren schwarz gewesen, und die Küche hatte so geraucht, dass auch die Stunde
lüften den Gestank nicht ganz vertreiben konnte.
Er zog die Luft in tiefen Zügen ein, genoss die Stille,
genoss den Geruch von nassem Holz und Pilzen, genoss sogar den Regen, der von
den Zweigen troff und in seinen Kragen tropfte. Sekundenlang starrte er die
feuchten Schlieren auf seiner Regenjacke an.
Sie hatte ihm Butterbrote hingestellt, wortlos, mit
klappernden Tellern, hatte den Raum ebenso wortlos verlassen, ein wenig langsam
und schwerfällig, wie es ihre Art war. Er hatte die grauen Strähnen ihres
Haares angestarrt und die Laufmasche an ihrem linken Strumpf, die als kleine,
blasse Rinne vom Rocksaum zur Ferse führte, hatte dann den Blick gesengt. Von
oben wummerten Bässe. Jörg! Am Morgen war die Polizei da gewesen, zwei Beamte
vom Rauschgiftdezernat, und hatten nicht nur die Zimmer des Sohnes durchsucht, sondern auch
die Nebenräume des Hauses, hatten seine geliebte kleine Werkstatt auf den Kopf
gestellt, ohne zu sagen, was sie suchten. Danach wummerten die Bässe noch
lauter.
Er folgte dem Weg aus dem lichten Buchenwald hinaus ins
offene Tal. Letzte Regentropfen fielen aus den Wolken, die bleigrau, einem
Gebirge gleich, über dem Grund hingen und die Wipfel des Fichtenschlags
streiften, der als dunkelgrüne, leise rauschende Wand vor ihm aufragte. Die
Wolkendecke brach auf und ein schmaler Lichtstreif fiel in das Dunkel,
beleuchtete für einen Moment den nadelbedeckten, moosigen Boden unter den
Bäumen. Eine Amsel sang über ihm. Er zögerte kurz, wandte sich ab und folgte
dem Weg weiter über die Wiesen, vorbei an dem Jägerstand, leicht aufwärts. Das
Licht hatte sich jetzt verändert, die Wolken trieben in wechselnden
Formationen. Eine Fratze schien ihn zu verhöhnen, eine weiße Gestalt winkte
ihm, bevor sie zum Hundekopf wurde.
Jörg hatte den Wagen, als der Unfall passierte, ohne seine
Erlaubnis gefahren. Angeblich war er dem Nachbarshund, dieser widerlichen Töle,
die ihre Haufen immer vor sein Gartentor setzte, ausgewichen. Die Versicherung
verweigerte nun die Begleichung des Schadens, da der Sohn nicht hätte fahren
dürfen. „Nur, weil du zu geizig warst, ihn in die Police zu nehmen“, hatte
Hilde gesagt. „Du weißt doch, wie der Junge Autos liebt“. Von oben hatten Bässe
gewummert, laut wie Motoren.
Er beobachtete das Licht- und Schattenspiel im Gras, hob den
Blick nach Osten, wo Nebel aus dem Grund aufzusteigen begannen. Als zarte
Schleier hoben sie sich vor dem dunklen Hintergrund der Bäume. Er lauschte dem Abendgesang
der Vögel, sog ihn in sich auf. Ganz oben stand er jetzt und mit weitem Atem
genoss er den freien Blick, bevor er abwärts zu gehen begann, dem Waldrand zu,
wo ihn die Fichten mit ihrem Rauschen begrüßten, dicht an dicht, noch dunkel
vom Regen mit glitzernden Wassertropfen auf den Nadeln, feierlich wie ein
Spalier ihm zu Ehren. Er zögerte nicht mehr, sondern trat – ohne einen Blick
zurück zu tun – mit einem leichten Lächeln durch die schmale Öffnung, welche
die tiefen Äste ihm gewährten, und die sich hinter ihm , ganz leise knackend,
wieder schloss.
Am 25. November 2012 schloss die Kriminalpolizei Bayreuth die
Akte Anton B. unerledigt ab.
08.06.13
Sonja Meier
Donnerstag, 13. Juni 2013
Criminale kommt nach Nürnberg und Fürth
Hallo liebe Mitschreiber und Mitleser,
ich habe zufällig entdeckt, dass wir im nächsten Jahr ein großes Krimifestival bei uns begrüßen dürfen.
Mehr dazu findet Ihr hier:
http://www.nordbayern.de/nuernberger-nachrichten/kultur/morderische-geschichten-1.2912582?searched=true
Mittwoch, 12. Juni 2013
Kleine Fingerübungen zum Thema Ende
ENDE 1
Als de Prüfling Peter C. gebeten
wurde, sein Jackett zu öffnen, und der Aufsichtsbeamte ein Smartphone mit
Wörterbuchprogramm fand, war das das Ende des Staatsexamens für
Herrn C.
ENDE 2
Wenn Frau Gerlinde O., die
bevorzugt Fisch aß, mit Gräten im Hals kämpfte, in Atemnot kam, hustete, japste
und ihr dabei Tränen aus den Augen liefen, dachte ihr Gatte Max jedes Mal, das
sei ihr Ende.
War es aber nie.
ENDE 3
Les jeux sont faits! Rien ne va
plus. Schluss, Ende, Aus für alle Glücksversuche. Mit bebendem Herzen wurde auf
eine magische Zahl gesetzt. Alles hängt in der Schwebe, alles ist möglich. Es
knistert, wenn die Zeit still steht.
Dann saust die Glückszahl wie ein
Fallbeil in die Spielerrunde.
von Wilfried Christel
Foto Copyright @ Fürtherin
Ein Ende
Es gab kein Entrinnen. Jeder
Gottesdienstbesuch musste im Jahr der Konfirmationszeit in einem
Karteikärtchen dokumentiert werden. Es
war blassrosa und wies alle Sonntage des Kirchenjahres in fein säuberlicher
Rubrik auf. Marlene hatte Schwierigkeiten, deren komplizierte Namen überhaupt
zu entziffern. Einer hieß tatsächlich
Estomihi, ein anderer Laetare und die vielen Sonntage nach Trinitatis, die
wollten ja überhaupt nicht aufhören. Nur den 1. bis 4. Advent kannte Marlene.
Aber das war ja noch lange hin. Oh, mein Gott! Hinter jedem Sonntag war ein
Kästchen platziert für die Unterschrift des verantwortlichen Pastors. Es gab
kein Entrinnen. Bei Krankheit des Konfirmanden mussten die Eltern eine
Entschuldigung beibringen. Marlene wusste, ihre Eltern würden einen
Schummelversuch schon im Keim ersticken. „Und in den Ferien, wenn ich
verreise?“
„Du findest überall eine
protestantisch – lutherische Kirche. Von einer Konfirmandin erwarte ich
Pflichtgefühl und Treue zu unserer Kirche!“, sagte Pastor Bosswitz in dem ihm
eigenen markanten Tonfall, der keinen Einwand zuließ.
Auf der Vorderseite des
Kontrollkärtchens war ein Lamm abgebildet. Es lag am Boden und hielt trotzdem
noch eine Fahne mit Kreuz hoch.
„Und wenn ich es verliere? Wer
glaubt mir dann ohne das Kärtchen?“, fragte sich Marlene.
Der Gottesdienst näherte sich der
Predigt. Marlene saß zwischen ihren Eltern und der dicken Berta. Sie durfte die
dicke Berta so nennen, weil ihre Eltern das auch ganz selbstverständlich taten.
Dort zu sitzen war schlimm für Marlene, weil die Eltern links von ihr immer
anmahnten, dass sie kräftig und überzeugend mitsingen sollte, nicht nur so
zimperlich rumpiepsen. Und rechts roch die dicke Berta aus ihrem schweren
braunen Mantel heraus nach Mottenkugeln. Außerdem sang sie sehr laut, so laut
wie falsch. Pastor Bosswitz stand mittlerweile auf der Kanzel. Jetzt würde er
loslegen und lange, lange reden. Marlene sackte leicht zusammen. Was tun? Zu
Reinhard rüberschauen, was für ein süßer Lockenkopf, aber an seinem Hals
drückte sich ein knallroter Pickel aus dem Hemdkragen. Reinhard bekam in der
letzten Zeit immer mehr Pickel. Schade. Hinter ihm feixte Marlene der freche
Ingo zu, kleine witzige Faxen machte er und beim letzten Konfiunterricht hatte
er zweimal Teufel gesagt, wo doch Jesus die Antwort gewesen wäre. War der
wirklich so frech oder vielleicht nur dumm, auch wenn er aus Berlin kam, wo
alle Schnodderschnauzen hatten?
Herr Pfarrer Bosswitz erzählte in
seiner Predigt etwas über den Kleinmut, der die Menschen plage, und wurde dabei
immer lauter. Seine Augen riss er auf, sein Mund wurde breiter, ein tiefer
Schlund, aus dem der Kleinmut hochgeschleudert wurde und das große Leid, das
wir nur durch Gottvertrauen ertragen können und deshalb ist der Kleinmut etwas
Böses, er erhöht unser Leiden nur, Kleinmut ist das Verzagen Gott gegenüber und
das hat unser Herr nicht verdient, denn er weiß, warum wir leiden müssen. Er
allein! Bosswitz rief das alles schnarrend in den Raum und klopfte dabei
rhythmisch mit den Fingern auf die Holzkanten der Kanzel.
Soweit hatte Marlene die Sache
schon verstanden, das Schlimme war nur, dass sie bei Kleinmut nicht an Sünde
oder Verfehlung dachte, sondern sich ein Kleinmut als ein putziges kleines
Tierchen mit Fell vorstellte. Das Kleinmut, so dachte Marlene unerschrocken
weiter, war eine natürliche Verwandte
des Großmuts und am Ende der Kette stand das Mammut. Marlene versammelte die
ganze Tierfamilie der Muts um sich und überstand die Predigt auf diese Weise
recht gut. Aber das ganze Abendmahl musste noch ausgehalten werden. Ätzend
langweilig war es, bis Bosswitz immer die ganze Geschichte heruntergeleiert
hatte, in der Jesus seinen Leib und sein Blut als Essen und Trinken anbot. Das
war weder Sprechen noch Singen. Es klang immer, als wollte Bosswitz was und
könne aber nicht. Erst das schwungvolle Lied von den Töchtern Zions auf den
Zinnen von Jerusalem würde nachher wieder etwas Luft schaffen nach diesem
merkwürdig schmierigen Sprechsingen.
Aber das mit dem Blut! Marlene
schauderte jedes Mal, wenn der Pastor die Leute aus dem Kelch trinken ließ. Das
war ja dann eigentlich Blut. Wenn der Bosswitz selbst trank, hing seine große
Nase über dem Kelch und aus der Nase wuchsen Haare raus. Der Blutvortrinker.
Wenn früher Großmuts oder Mammuts gefangen und dann geschlachtet wurden, schoss
das Blut dieser mächtigen Tiere wie in Fontänen aus ihnen heraus. Die schönen
Stammesjünglinge badeten nackt in dem Blutsturz, weil das unverwundbar machte.
Eij, diese Jungs waren wirklich schön, sie hatten keine Pickel. Das Blut lief
in hübschen Rinnsalen an ihren braunen muskulösen Gliedern herunter, wow. Und
die Frauen stellten sich mit Schüsseln unter die Fontänen und fingen das Blut
auf. Später machten sie dann Blutsuppe daraus. Eine Wahnsinnsaction war das,
wenn man die Mute erlegt hatte. Die Kleinmute aber wurden wie Haustiere
behandelt, Schmusetierchen, weil sie so süß waren und ihr Fell so schön
glänzte. Niemand dachte deshalb daran, Kleinmute zu schlachten. Wenn Groß- und
Mammute leergelaufen waren und das Blut nur noch in Lachen auf dem Dorfplatz
stand, kamen die Kleinmute angetrippelt und leckten ein wenig davon. Da lachten
selbst hartgesottene Krieger.
Marlene musste auch lachen, aber
sie hörte sofort damit auf, denn die dicke Berta neben ihr piekste sie mit
einem strengen Blick.
Mittlerweile war auch schon der
Segen zu hören. Bosswitz hob schon die Arme, die langen schwarzen Talarärmel
schwankten in der Luft „Gehet hin in Frieden!“. Das hieß endlich: Wir können
gehen. Das war der Abpfiff beim Fußballspiel nach 90 Minuten.
Jetzt gab’s dann paniertes
Schnitzel mit Pommes, rote Früchtegrütze und nachmittags durfte sie ins
Freibad. Das Wetter war toll und Dieter und Ingo waren sicher auch im Bad.
Ach ja, Bosswitz muss noch das Kärtchen unterschreiben.
Foto Copyright @ Fürtherin
Wondraschs Schmerz
Wondrasch hüpft mit gestreckten
Beinen die Treppe hinunter, als wolle er für eine Nummer als Stelzenmann
trainieren. Freunden aber erzählt er bereitwillig, dass er so die Schmerzen
beim Biegen des Kniegelenks verhindere; an eine Operation denke er noch nicht,
schließlich sei er erst 70. Ruhephasen gönnt er sich wenig, höchstens für kurze
Massagen schmerzender Stellen. Man dürfe, so Wondrasch, wenn sich der Schmerz
melde - und sei er noch so stechend und alarmierend - , ihm nur wenig bis keine Aufmerksamkeit
schenken, sonst blase er sich nur zu einer Schimäre auf, zu einem Ungeist, den
man aus der Flasche gelassen habe. Er, Wondrasch, halte immer gleich dagegen,
in kleinen Dosierungen belaste er die in Frage kommende Körperstelle, dann
steigere er deren Einsatz systematisch, peinigende Körpersignale ignorierend.
Kein Doktor?
Aber woher denn, kein Doktor!
Kein Googeln nach Krankheiten?
Oh nein, doch kein Googeln.
Schmerzen, so Wondrasch weiter,
seien ungebetene Gäste, die es mit scharfem Blick zu verwarnen gelte.
Husch husch, euch will hier
keiner.
Wondrasch also der alte Indianer,
dessen Kiefermuskeln signalisieren, dass er keinen Schmerz kennt?
Aber so starr wirkt er nicht. Er
spielt gerne, lacht und schäkert, hat kein aufgeblasenes autoritäres Gehabe,
wie es die Stammeshäuptlinge der Indianer schon allein ihrer Würde wegen
besitzen müssen. So wächst die Neugierde nach der Frage, wo Wondrasch diese
sehr eigene Schmerztherapie denn herhat.
„Das ist so gewachsen“, sagt er
zögerlich und sucht Worte, um mehr Zeit für eine Erklärung herauszuholen. „Ich spielte als Junge allein und in der
Bande fast nur draußen. Die gefährlichen Stellen waren die reizvollsten: Bäche mit Steilufern, hohe Bäume, Steinbrüche
als Wildwestlandschaft, Hohlwege mit Geröll und Schotter. Da war bei Verletzungen
keine Zeit für’s Jammern. Das Blut rasch
mit Spucke wegwischen, ein wie magisches Wegstreichen des Schmerzes von
geschundenen Knochen und Muskeln. Das Gesicht durfte man schon ein wenig
verzerren, ein bisschen Humpeln oder Beinnachziehen waren auch erlaubt – aber
nur im ersten spontanen Reflex! Stöhnte man öfter, so hieß es ‚Mach bloß kein
Markus!‘ . Zuhause übte ich mich erst recht in entspannten, normalen
Bewegungen. So gab es keine blöden Fragen. Abends im Bett hob ich neugierig mit
dem Fingernagel den Grind an, der auf der Wunde juckte. Dann blitzte die
zartrosa Haut der Heilung auf. Ohne Verband, ohne Jodtinktur und anderes Tamtam
war sie einfach eingetreten. Ich ahnte es, das funktionierte nur, weil ich sie
nicht erfleht, ihr nicht nachgewimmert hatte. Vielleicht war es so“, gickerte
Wondrasch und seine Augen blitzten vor Lachen.
Warum soll ich es leugnen, dass
ich Wondrasch beneide, dass ich mich auch etwas schäme, wenn ich beim nächsten
Herzstechen den Infarkttod vor Augen sehe, während Wondrasch Angst und Schmerz
schon mit seinem Blick vertreiben kann. Ich traue mich nicht zu fragen, was er
mit dem Schmerz tat, als seine Frau plötzlich starb.
Aber ich stelle mir vor, wie er
an ihrem Totenbett saß und lange in das Loch starrte, das sich als schwarzer
Abgrund vor ihm auftat.
Und jetzt sehe ich es genau: Er
starrte so lange und intensiv in die Kluft, bis sie sich mit kühlem, dunklen
Wasser gefüllt hatte.
Dann stieg Wondrasch in dieses
tiefe stille Wasser und schwamm , und
schwamm……
von Wilfried Christel
Foto Copyright @ Fürtherin
Willkommen im reizenden Glockenbachtal
Einfach draufloslaufen, die Freiheit liegt so nah, fast vor den Toren der Stadt. Auf geht’s! „Wohlauf, die Luft geht frisch und rein!“ Was brauch ich eine Karte? Dieser Weg da lädt mich einfach ein, Schilder und Routenlenker gibt’s in der Stadt genug, hier Gottseidank nur Grün, Bäume, Stege, Pfade, verwunschene Senken, Schleichwege, die durch’s Unterholz mäandern. Wie doch die Natur immer wieder den Kopf durchschütteln kann! Dieser Buchenstamm ist eindeutig ein Elefantenbein, Vorhut einer monströsen Herde. Auf dem Bein des Urtiers, nein, bitte nicht – ein Schild: Pfeil nach links der Streuobstweg nach Partelstein. Im rechten Winkel Pfeil nach unten, nach unten? Okay, rechts unten nach Wirkelbach. Ich nehm‘ den dritten Weg, den ohne Richtungsschild. Ich will, dass heute alle Wünsche für mich offen bleiben. Lauf deinem Geheimnis nach! Sowas ist geil.
Gefühlte vier Kilometer weiter
nagelt mich ein Totempfahl fest, der in zwanzig Winkelvarianten nach
Glockenbach weist. So wie früher auf den Marktplätzen die Nostalgiewegweiser
die Weite der verlorenen Heimat im Osten wachhielten: Danzig 732 km, Königsberg
in Preußen 849 km, 975 km nach Memel, Kattowitz oder Oels.
Jesus, es gibt keine
unausgeschilderten Wege mehr!
Ich bestreite ja nicht, dass es
Schilder geben muss. Eines mit „Vorsicht Abgrund“ oder „Müllhalde – Besteigen
auf eigene Gefahr“ erfüllt schon einen Zweck, aber meine Freiheitssehnsucht,
„die Gedanken sind frei“, ein bisschen Vision – Quest im fränkischen Wald halt.
Ich brauche sie, ich bestehe auf der Magie des unbeschilderten Weges. Auch wenn
der Heimatverein Quendelbach in mühevoller Kleinarbeit den Tonscherbenweg im
Königswald neu ausgeschildert hat. Ich mag auch keine Hinweistafel, auf der
breit dargelegt wird, dass hier einmal eine Burg stand, die die Leuchtenberger
1368 an die Hennensteiner übergeben mussten und die dann 1440 dem Erdboden
gleichgemacht wurde. Ganz zu schweigen vom Peter-Handke-Gedächtnisweg, dem
Kohlberger Skulpturenweg oder dem Lyrikpfad, auf dem alle 300 Meter in Stein
gemeißelte Reime die Sonnenkraft, den Wuchs der Pflanzen und das Alter alter
Steine besingen. Und den Jakobsweg mit seiner Muschel mag ich schon gar nicht,
überall ist Jakobsweg, Deutschland ist bis Spanien ein Jakobsweg. I don’t like,
can’t smile.
Wo bin ich?
Schließlich lande ich auf einem
Kräuterriecheventweg mit Sportparcours in Glockenbach, wo ich garantiert nicht
hinwollte.
Der Freiheitsraub dauerte 19 km
und ich bin unangemessen müde. Was ist los mit meinem Kreislauf? Und warum bin
ich so depressiv?
In mir blinken Warntafeln auf:
„Follow me!“ In roten Buchstaben auf blauem Schirm „Kein Alkohol, keine
Kohlehydrate nach 17.00 Uhr mehr!“, gefolgt in flottem Pink auf Lila
„Frustrationsseminar im Maria-Bernstein-Centre buchen!“
Willkommen im reizenden
Glockenbachtal!
von Wilfried Christel
Foto Copyright @ Fürtherin
Montag, 10. Juni 2013
Tor auf, Tor zu
Frisch gedruckter Führerschein. 1. Fahrt mit neuem Käfer in die Garage. Kotflügel vorne rechts. Quietsch. Kotflügel hinten links. Quietsch. Motor aus. Tor zu.
Foto Copyright @ Fürtherin
August -Oktober
Tina ausgezogen, Bernd bleibt bei seinem Vater im Haus. Umzug in meine neue, alte Wohnung mit Lisa und Hund. Lisa zieht aus, der Hund stirbt. Ich bin alleine.
Foto Copyright @ Fürtherin
Nonnenbunker
Ich stehe neben der hölzernen Schulbank stramm. Meine rechte Hand liegt ordentlich auf der abgeschrägten Tischplatte. Nur mein Zeigefinger fährt in klitzekleinen Kreisen über das eingeritzte Herz.
Fräulein Pritorious steht hinter ihrem Pult und tippt immer wieder auf das Heft vor ihr. Mein Heft. Eine sechs. In Englisch. Wieder.
Über und hinter ihr an der Wand hängt am hölzernen Kreuz ihr toter Jesus. Ihr Mund geht auf und zu. Worte mit Spucke angereichert werden aus dem Vulkanschlund heraus gespeiht. Sie fallen vor der ersten Schulbank ins Nichts. Ich bin mitten drin, im Stummfilm.
Eine dunkelblond, melierte Haarsträhne löst sich aus ihrem Dutt. Unverschämt. Energisch streicht sie sich mit der Linken die Knopfleiste ihrer Twinset Jacke über ihre flache Brust gerade. Ob sie, wie die Nonnen hier im Mädchengymnasium, ihre Brüste platt an den Körper bindet?
Ein Knall! Mit der flachen Hand hat sie auf mein Heft geschlagen. Ihre roten Bäckchen vibrieren, als wollten auch sie ausbrechen. Mit einem energischen Ruck wird die vorwitzige Haarsträhne lang und glatt gezurrt und an Ort und Stelle wieder in den Haarclips eingeklemmt.
Wie in Zeitlupe bücke ich mich herunter, löse meinen Ranzen vom Haken, packe Buch und Stifte hinein, schultere ihn, schlängle mich durch die Reihen und im hohen Bogen am Pult vorbei. Nie wieder betrete ich diesen Nonnenbunker.
Sonntag, 9. Juni 2013
Dann doch
Prüfung
Die Spannung lässt nach, die letzten Buchstaben kratzen sich in das billige Papier.
Kopf leer, Körper müde, die verkrampften Finger finden Ruhe.
Abschluss geschafft.
Kopf leer, Körper müde, die verkrampften Finger finden Ruhe.
Abschluss geschafft.
Foto Copyright @ Fürtherin
Regentropfen
Tropf, tropf, schwerer Regenguss, tropf, tropf, tropf...
Der letzte Regentropfen versickert sicherheitshalber noch in der trockenen Erde, damit die heiße Augustsonne ihn nicht noch in Dunst auflöst.
Der letzte Regentropfen versickert sicherheitshalber noch in der trockenen Erde, damit die heiße Augustsonne ihn nicht noch in Dunst auflöst.
Foto Copyright @ Fürtherin
Ein Ende
Tock, tock,
tock, Gong......
Aufstehen, Hände falten, verbeugen.
Den Raum verlassen, ihn
mit Verbeugung verabschieden.
Gehen. Ein bis zwei Runden um das Zendo herum.
Liebgewonnene Routine in der völligen Stille. Diese endet heute jäh mit dem
Gong.
Jeder nimmt das, was er am ersten Tag an seinen Platz drapiert hat wieder
mit. Unruhe die diesem Ort unwürdig erscheint. Die Schleier sind
gefallen, die Achtsamkeit, die man tagelang trainiert hat, stürzt in ein
Zivilisationsloch. Auf einmal ist die Ruhe weg. Der Kokon in dem man tagelang
fern der Welt lebte, bekommt böse Risse. Die Welt und der Lärm dringt ein,
erreicht den Kopf, macht Töne hörbar, für die man noch nicht bereit ist. Man
wirft Blicke die die Hülle weiter aufsprengen. Die Neugierde dringt ein und man verlässt sich und seine eigene Welt, den eigenen, schwer
zurück erkämpften Mikrokosmos. In einem schreit es, man will da nicht raus. Eine
Woche vorbei? Die Gedanken schlagen wieder Purzelbäume. Wie wird Morgen früh
das Abgeholt werden? Es klopft das schlechte Gewissen von hinten an die
Schulter, dass man keinen einzigen Gedanken an die Lieben daheim verschwendet
hat. Will ich den Abend ruhig abschließen oder will ich mich unter die Menschen
mischen, die ich nur auf einer anderen Ebene kennengelernt habe. Einer, die mir
bisher völlig fremd war. Das neue Gemeinschaftsgefühl, das sich aufgebaut hat
über Berührung und ohne Worte wird zerbrechen. Spätestens nach dem Frühstück.
Der Abend in Gesellschaft ist schön und traurig zugleich. Heiterkeit, ein
Geburtstag, sogar eine Gitarre. Aber da ist auch eine Traurigkeit, denn ein
paar Menschen, die man heute Abend doch nicht trifft, weil sei die letzte Ruhe vor
der Welt gewählt haben, macht sich breit.
Nähe, Wärme, Menschlichkeit die man von völlig fremden Menschen
bekommen hat, die man aber nun wieder gehen lässt, schleichen sich weg. Katerstimmung wie bei einer
Klassenfahrt, weil Morgen alles vorbei ist. Nur, dass die Klasse sich danach
noch hat, die Gruppe hier aber in alle Windrichtungen verstreut sein wird. Der
Austausch der Telefonnummern, der zu vereinzelten Kontakten führt, die sich
nicht aufrecht erhalten lassen werden. Man weiß es, tut es aber trotzdem, weil
man damit versucht, den Moment, die Stille, die Gefühle, die Geborgenheit
festzuhalten. Der Versuch damit ein Stück in den Alltag zu retten. Man lernte
viel über sich und die Anderen. Der Intuition zu folgen, den richtigen Moment
zu finden. Loszulassen und im ich zu schweben und im Gegensatz zu sonst mal 100
% man selbst zu sein und keine Rolle zu bedienen.
Tock, tock,
tock, Gong.....
Foto Copyright @ Fürtherin
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