Dienstag, 31. März 2015

Hilfsbereitschaft

Sándor ist ein sehr hilfsbereiter Mensch. So zögerte er nicht, seinem ungarischen Landsmann Dolmetscherdienste  anzubieten, als dieser zu einer Untersuchung ins Krankenhaus musste. Béla  spricht zwar etwas deutsch, aber mit der Hilfe seine Kumpels fühlte er sich sicherer. 
Die Aufnahmeformalitäten waren schnell erledigt und die Schwester schickte die beiden ins Labor zur Blutabnahme.
Die Schwester im Labor erlaubte Sándor mit hineinzukommen, um ihre Erläuterungen zu übersetzen. Es half Béla über seine Aufgeregtheit hinweg und sie konnte sich auf ihre Arbeitsschritte konzentrieren. Sie legte Röhrchen und Spritze bereit und band Béla den Arm ab, während Sándor  die Erläuterungen der  Schwester auf Ungarisch wiedergab.
„Es gibt jetzt einen kleinen Pieks.“ Zielsicher stach sie zu und das Blut schoss durch die Nadel ins Röhrchen. Sándor sah das Blut an der Röhrchenwand  zurückfließen und er hatte das Gefühle es riechen und seine Wärme spüren zu können.

Um sich diesem Gedanken nicht länger widmen zu müssen, schalteten sich kurzerhand alle seine Sinne aus.  Sein Körper fiel wie ein nasser Mehlsack zu Boden. 
„Sándor“  rief Béla erschrocken, die Schwester souverän: „Einen Arzt bitte, wir brauchen hier Hilfe“, während sie ihn weiter versorgte.

Eine weitere Schwester und ein Arzt eilten herbei und sahen sich die Bescherung an. Sándor war so unglücklich aufgeschlagen, dass die linke Augenbraue aufgeplatzt war und stark blutete. „Das muss genäht werden, wir bringen ihn am besten in die Notaufnahme.“  Die Wunde reichte für fünf Stiche. Danach war er benommen, klagte über starke Kopfschmerzen und Schwindel, so dass der behandelnde Arzt eine Gehirnerschütterung befürchtete und weitere Untersuchungen anordnete.
Béla war zwischenzeitlich mit seinen Untersuchungen fertig und nach Hause geschickt worden.
Seinen hilfsbereiten Dolmetscher behielten sie sicherheitshalber drei Tage länger.

13.03.15   
LinaLiebherz

Montag, 30. März 2015

Erinnerungen an V.

Das Kind war besorgt, als das Familienklavier einmal für kurze Zeit bei den Nachbarn untergebracht werden musste. Würden sie es wieder herausgeben?

Der Heranwachsende ging zur Mittelschule, wohl weil seine Eltern der Meinung waren, dass ihrem Erstgeborenen und Hoferben etwas mehr Bildung als die Volksschule gut zu Gesicht stünde. Einmal blieb er sitzen, ein Tatbestand von dem er seinen Kindern immer mit einem Lächeln berichtete, vor allem aber mit fehlender Dramatik, mit einer skandalös fehlenden Dramatik. In seiner Familie war man ein guter Sportler. Und Musik war wichtig! Einer seiner jüngeren Brüder  fing mit einer Gitarre Mädchen.

Er selbst - ein guter Sänger und Tänzer - ließ sich von der Singediktatur vereinnahmen. Mit sechszehn wurde er Soldat. Von da an transportierten Züge das Kind des Dorfes quer durch Europa: Berlin, Stalingrad, Paris. An riesigen Bahnhöfen wurde er umgeschlagen. Er war 20 als er aus der Kriegsgefangeschaft zurückkehrte, reicher um die Erfahrungen  Hunger, Verrohnung, Verletzung, Verlust - Albträume sollten  ihn für den Rest seines Lebens quälen. Als er nachts das Wohnzimmer seiner Eltern betrat, fand er dort zu seiner Überraschung eine Wiege, darin eine kleine Schwester.

Der Ehemann zeigte sich als solcher selten. Er entzog sich. War Bauer, dann Dazuverdiener, am Sonntag Wirtshausgänger. Er siedelte sich am Rande des Familienlebens an, machte sich zu einem dienstbaren Geist. Ein typisches Bild: er steckt seinen Kopf durch die Küchentür mit der Frage: „Was soll ich jetzt tun?“ Selten ging das Paar spazieren und dann im Sonntagsstaat. Umgeben waren sie dabei von einr Aura feierlicher Schwere. Er trug Anzug, ein Hemd mit Manschettenknöpfen und Hut. Sie tanzten  gern und sahen sich gemeinsam Tanzwettbewerbe im Fernsehen an. Ob im Familienkreis oder in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten beschämten ihn zutiefst. Dennoch brachte er es auf vier Kinder.

Der frischgebackene Vater seines 1. Kindes, ein sicherer und besonnener  Fahrer, wurde auf der Rückfahrt vom Krankenhaus nach Hause von der Tante seiner Frau angehalten, ob der wertvollen Fracht, doch vorsichtig zu sein. 'Als ob auf der Dorfstraße irgendwelche Gefahren lauerten'. Diesen aufmüpfigen Gedanken, wie all die anderen, behielt er leider für sich.

Er konnte nicht schlagen und mischte sich nicht ein. Wenn er denn einmal über den dafür notwendigen inneren Freiraum verfügte  und seine Kinde wahrnehmen konnte, las er sie, d.h.er beobachtete sie und zog seine Schlüsse. Den drängenden, besitzergreifen Verhörstil seiner Frau pflegte er nicht.

Rituale, die er mit seiner ältesten Tochter  pflegte: Bei ihrem 'Papa, komm in Tube' erkannte er, dass er gebraucht wurde um das Fernsehen einzuschalten. Sagte sie am Neujahrstag als erste 'Prosit Neujahr' und das gelang ihr immer, schenkte er ihr fünf Mark. Später  schauten sie oft gemeinsam den Internationalen Frühschoppen an. Wenn sie in den Siebzigern aus der Schule kam mit Fragen, Meinungen und Erkenntnissen zu einem Krieg, der noch gar nicht so lange vorbei war, wurde er zum HB-Männchen. Als sie mit Sechszehn ankündigte, sie würde für ein paar Tage nach Paris fahren, verlor er die Nerven, als er sich an die Bahnhöfe dieser Stadt erinnerte.

Nach dem Tod seiner Frau beschwor der Alkoholiker seiner vier Kinder - 21, 17, 16, und 15 Jahre alt - sie seien stark, er sei schwach.

Von dem Rentner, der nicht mehr in der Fabrik arbeiten musste, fiel eine Last ab. Er ging aus sich heraus. Machte immer ausgedehntere Radtouren in die Umgebung. Er traf sich mit seiner alten Volksschulklasse an Geburtstagen. Einmal besuchte er den chinesichen Zirkus, der in der nahen Kreissporthalle gastierte. Die Vorstellung fand er so mitreißend, dass er  in der Nacht darauf keinen Schlaf finden konnte. Nach der Geburt seiner ersten Enkelin  fuhr er zum 1. Mal nach Jahrzehnten wieder mit dem Zug, für einen Tag nach Berlin.

Der langsam erblindende Greis ging in Gedaken oft die Dorfstraße entlang, blieb bei jedem Bauernhof des nunmehr potemkinschen Dorfes stehen und verglich die Lebendigkeit der Vergangenheit mit der Leere und Stille der Gegenwart. Als seine beiden Töchter ihn an seinem letzten Weihnachtsfest besuchten,  spielte die eine Klavier und er sang dazu mit einer brüchigen Greisenstimme.

Christel Rösener


Donnerstag, 26. März 2015

Die Wortsammlerin

Es war ein sonniger Nachmittag Anfang März, als Helene Seidelbrinck zur Sammlerin wurde. Die Sonne wärmte bereits in der noch kühlen Vorfrühlingsluft, die Vögel übten ihre Balzlieder und im graugrünen Wintergras reckten Schneeglöckchen, Winterlinge und Krokusse ihre leuchtenden Köpfchen. Frau Seidelbrinck schlenderte, die Sonne genießend, die obersten Knöpfe ihres Wintermantels bereits geöffnet, durch den Stadtpark. Ein wenig ziellos ließ sie sich treiben von der Menge, alles strömte hinaus in die Natur, wollte Teil haben an ihrem Erwachen, Kinder lärmten und Hunde wuselten zwischen den Menschen hindurch, gebannt den verheißungsvollsten Duftspuren folgend. Das Stadtparkcafé schon in Sichtweite, beschleunigte Frau Seidelbrinck ihre Schritte und hätte das Wort beinahe übersehen, doch im letzten Moment nahm sie es wahr  und machte einen kleinen Ausfallschritt, um nicht darauf zu treten. Sie hielt inne und sah genauer hin, bückte sich schließlich – ein wenig mühsam wegen der Arthrose in ihrem linken Knie – und hob es auf. Es war ein geschundenes Wort, achtlos weggeworfen, vielfach getreten, beschmutzt und verletzt. Sie hielt es behutsam in ihren Händen, denn es schien ihr kostbar zu sein. Das Wort hieß Liebesdienst.

Frau Seidelbrinck trug es vorsichtig nach Hause, besorgt, es nicht noch mehr zu beschädigen und legte es dort in ihr Lieblingsbuch, so, wie sie früher Blumen und Gräser gepresst hatte, aber sogleich schien ihr, das Wort sei dort unglücklich, verletzt wie es war, inmitten der vielen anderen Wörter. So legte sie es in ein mit Samt ausgeschlagenes Holzkästchen, in der Hoffnung, es werde sich etwas erholen. Es wäre, dachte sie, schön, wenn das Wort Gesellschaft hätte; nicht die Gesellschaft der gedruckten, toten Wörter, sondern von seinesgleichen. Vielleicht könnte sie ja einen oder zwei Gesellschafter für ihr Wort finden, Wörter, die zu ihm passten. So ging sie noch einmal los, den Blick auf den Boden gerichtet, aber es war gar nicht so leicht, Wörter zu finden, jedenfalls in dieser Straße. Es bedurfte einiger Konzentration, zwischen Randbepflanzungen, abgestellten Fahrrädern, weggeworfenen Getränkedosen und Zigarettenschachteln Wörter zu finden. Und wenn sie eines fand, schien es ihr nicht passend als Gesellschafter ihres Wortes, denn es waren gewöhnliche Alltagswörter, aber sogleich schämte sie sich dieser Unterscheidung. Schließlich, nahe einem schönen alten Holztor, das offen stand und den Blick in einen verträumten, etwas verwahrlosten Hinterhof erlaubte, wurde sie fündig. Vorsichtig sammelte sie Freudentaumel und liebäugeln auf und entdeckte, als sie zwei Schritte in die Hofeinfahrt machte, noch nichtsdestotrotz. Wie gleichgültig Menschen mit Wörtern umgehen, dachte sie und trug ihren Fund eilig nach Hause. Sie legte die drei neuen Wörter, die längst nicht so mitgenommen aussahen wie das zuerst entdeckte, ebenfalls in das Holzkästchen und hoffte das Beste.
Tatsächlich schienen sich die Wörter bei ihr wohlzufühlen; sie sahen bald frischer aus und hatten ein wenig an Knittern und Schmutz verloren. Frau Seidelbrinck erfreute das und sie beschloss, ihre Spaziergänge zu weiteren Wortsammlungen zu nutzen. Mit der Zeit bekam sie Übung darin und das Gespür für die richtigen Orte. Es war unglaublich, wieviele Wörter verloren gingen. Nach einer Parteiveranstaltung auf der Freilichtbühne lagen dort Häufchen leerer Worthülsen. Inhaltslos gesprochen, von niemandem ernsthaft aufgenommen, verwehte sie der Wind. Alltagswörter fanden sich zwischen Regalen der Supermärkte genauso wie in Banken und Cafés. Neben einer zerrissenen Rechnung fand sie einmal das Wort verhonepipeln und nahm es kichernd mit, ebenso wie Wolkenkuckucksheim und Schnurrdiburr, die sie mit ein paar anderen Wörtern vor dem Kinoausgang fand. Sie sammelte und sammelte, füllte zu Hause Schachteln und Körbe mit ihren Fundsachen, wobei sie sorgfältig darauf achtete, dass die Wörter zueinander passten, und war das nicht der Fall, so änderte sie die Zusammenstellung wieder. Aufmerksam und mit wachsender Freude beobachtete sie die Veränderungen. In den Behältnissen entwickelten sich Gebilde von vielfältiger Gestaltung. Es gab kugelrunde, federleichte Wortverbindungen, sperrige, scharfkantige, ja ganz und gar bizarre Formen. Hin und wieder packte sie eine besonders schöne Form in einen Geschenkkarton, um jemandem einen Freude zu machen, aber die höflichen, etwas befremdeten Mienen der Beschenkten und ihre Hilflosigkeit angesichts der geöffneten Schachteln ließen sie davon wieder abrücken. Doch sammelte sie unverdrossen weiter, staunte über Gleichgewichtsdichtegradientenzentrifugation und Onomatopoesie, amüsierte sich über Kopftuchgeschwader und Rentnerbravo und über die Absonderlichkeiten der Dialekte. Sie fand Fotzenhobel und Schnauzetippel und einmal, als sie die Abendsonne auf einer Parkbank genoss, lag ihr zu Füßen ein Wort, halb verdeckt von einem Lavendelbusch, das sie etwas erröten ließ und sie wollte sich abwenden, aber das Wort war so geschmeidig, so weich und prall, so rund und warm, dass sie es nicht über sich brachte, es liegen zu lassen. Ein wenig verstohlen blickte sie sich um, ob niemand sie beobachtete und nahm es an sich. Das Wort hieß Cunnilingus.
Ihre Sammlung wuchs und gedieh prächtig im Laufe der Jahre. Es gab kaum mehr ein Durchkommen zwischen ihren dicht gefüllten Behältnissen. Sie liebte die Wortgebilde und als ihr das Gehen zusehends schwerer fiel, sie das Haus immer seltener verließ, als ihre Lebenskreise enger wurden und auch die Besuche der Freunde und Verwandten rarer,  fand sie Trost und Anregung in der Gesellschaft ihrer Sammlung. Und hin und und wieder - und das betrachtete sie als besonders kostbares Geschenk - erfuhr die Sammlung eine Ergänzung durch das eine oder andere Wort, gefunden und mit behutsamen Händen übergeben von ihrem Urgroßneffen Benjamin, einem aufgeweckten Sechsjährigen, der ihre Liebe zu den Wörtern zu teilen begann und die Wortgebilde tastend bestaunte.
Es war wieder ein sonniger Vorfrühlingstag, als Birgit Liebermann, die, in Begleitung ihres Sohnes Benjamin, ihrer Großtante Helene einen frisch gebackenen Kuchen – Eierlikör mit dickem Schokoladenguss – vorbeibringen wollte, mehrfach läutete, schließlich etwas verunsichert die Tür mit ihrem Schlüssel öffnete und sich mit leisem Seufzen und nachsichtigem Lächeln durch die Kästchen, Schachteln und Körbe schlängelte. Sie fanden Helene Seidelbrinck, die ihre Augen für immer geschlossen hatte, im Bett, auf den nun blutleeren Lippen noch ein Lächeln, aber nur Benjamin sah das filigrane, sanft schimmernde Wort in ihren Händen. Es hieß Himmelsleiter.

Für Christel und Carmen mit einen herzlichen Dankeschön für die Inspiration.

15.03.15
Sonja Meier

Samstag, 7. März 2015

Die Farbe der Tage

Die Tage sind nur am Jahresanfang weiß und es sind nur die allerersten,  noch unberührt von menschlichem Handeln strahlen sie in reiner Erwartung. Das ändert sich; Worte und Taten hinterlassen die ersten Spuren in blassem Graubraun. Mit der Zeit werden diese Spuren dichter und die Schattierungen dunkler.  Andere Farben kommen hinzu. Aus der Ferne betrachtet ist die Grundfarbe der späteren Tage ein mattes Braun, die Farbe des Alltags mit seinem steten Rhythmus und seiner Gleichförmigkeit, aber dazwischen leuchten, unregelmäßig hingetupft wie in einem Kaleidoskop, die Farbpunkte der besonderen Tage. Dort, wo das stumpfe Braun ins Rot kippt, ein harter Tag, aber von Erfolg gekrönt, dazwischen das helle Grün der Wochenenden, oft flankiert von den braunen Streifen ungeliebter Pflichten. Es gibt silbergraue Tage der Hoffnung und Erwartung, ein zarter Roséton Mitte März – der Beginn einer Romanze? Vielleicht. Es gibt hässliche grellgelbe Tage des Zorns, später das tiefe Dunkelgrün eines Urlaubs, ruhig und Kraft spendend. Leicht und dicht hingetupft sind die blassblauen Punkte des Frühlings einen kleinen Abschnitt lang zarte Bordüre des Alltagsbrauns. Dann ein tiefschwarzer Punkt, so mächtig, dass er alle anderen Farben überschattet, sie nahezu gleich macht. Nur das Braun hält stand, gedämpft, aber immer noch braun. Fast möchte man diese Beständigkeit lieben. Später wieder ein paar silbergraue Punkte, ganz vereinzelt ein roter und die hellgrünen der Wochenenden, die langsam ihre Schatten verlieren. Aber am schönsten in diesem Kaleidoskop sind die tiefblauen Punkte. Ganz vereinzelt in weiten Abständen leuchtet ihr Azur aus dem Alltagsbraun. Es sind die gestohlenen Tage, Stunden des Abtauchens, im Verborgenen verbracht. Unerreichbar sein, Alltag und Pflicht für eine kleine Weile zu entkommen – was für ein rarer, kostbarer Genuss!

Aus der Ferne betrachtet schillert das Jahr nicht nur in verschiedenen Farben, seine Tage ändern auch ihren Fluss. Anfangs bilden die Punkte einen breite, träge fließende Spur; locker hingetupft folgen sie dem Lauf der Zeit, später drängen sie sich dichter, ihr Fluss wird eiliger, bis sie dicht an dicht, unter- und übereinander in immer schmalerer Rinne dahinrauschen, um am Schluss in einem furiosen Strudel abzubrechen und, den Blicken entzogen, Platz machen für das neue Jahr. Doch bevor dieser letzte große Sog erreicht ist, glitzern die Punkte noch einmal auf, in warmem Gold, alles, auch das Alltagsbraun, überstrahlend – dann endet ihr Fließen und Rauschen und das neue Jahr grüßt majestätisch in reinem Weiß.

22.02.15
Sonja Meier

Dienstag, 3. März 2015

Ein märchenhafter Montag im Mai

11.43 Uhr, Stadtparkcafe

Nehmen wir mal diesen furchtbar lauten Nachbartisch.

Fünfzehn schmallippige, pudelfrisurige, eifernde, ältliche Weiber gackern durcheinander. Sie ziehen über den letzten Gottesdienst, insbesondere über ihren Pfarrer her wie die Fangemeinde eines wenig erfolgreichen Fußballclubs. Allzu laut wissen sie über alles Bescheid und ihre blitzweißen Jacketmünder klappen auf und zu wie gefräßige Haigebisse. Wie Piranjas, die sich lustvoll ans zerlegen, zerreißen, fressen und verdauen des Pfarrers machen. Heimlich nehmen die zu fetten oder ganz verknöcherten Hinterteile zierliche Bistrostühle wie Einweckklammern in Besitz, damit sie sich über den Tisch hinweg nicht auch noch gegenseitig in die Gesichter verbeißen. Das geht ihnen zu weit. Sie beschränken sich auf den Hochwürden.

Keine hat Glanz, weder im Haar, noch in der Erscheinung selbst. Die merkwürdige Stumpfheit wirkt wie ein Trauerflor ihrer gestorbenen Sehnsüchte. Nein, sterbende Sehnsucht trifft es besser, denn noch drückt sich davon ein letzter aufbäumender Rest im lustvollen Zerhacken aus. Noch fehlt ihnen die Ruhe und würdevolle Gelassenheit des Alters.

Es erschreckt mich. Uns trennen vielleicht zehn, zwölf Jahre. Noch sitze ich hier in meinen jugendlichen H+M Klamotten und habe Träume, die ich vielleicht verwirklichen kann. Atemlos lausche ich ihrem bösartigen Geschwätz über Kinder, Kirche, Küche. Verkrampfe mich beim Anblick ihrer starren, festgehaltenen, nur ruckhaften Gesten. Sie stopfen sich mit dem Schnitzelfleisch den eigenen Mund und ich sehe buchstäblich Verdauungsbeschwerden und das saure Aufschreien ihrer Gedärme. Alle tragen Gesundheitsschuhe, natürlich geputzt. Die Farben der Kleider sind gedeckt, sogar das Rot der einen mit graustich. Wohin ist ihre Sinnlichkeit gewichen? Und der Schwung ihrer Hüften?

Jetzt sind sie satt, erkennbar am keuschen Aufstoßen, den etwas ruhigeren Metallstimmen. Mich gruselt. Ich habe Angst vor ihnen. Ein braver Frauenkreis, vor dem, wenn sie im Rudel auftreten, keiner mehr sicher ist. Jede für sich allein eine Bombe ohne Zünder.

Oh, eine raucht! Abseits gerückt, hält sie die Zigarette in schulterausrenkender Weise hinter sich, um den stummen Vorwürfen und spitzen Nasen ihrer Sekte auszuweichen. Sie windet sich in allzu mutiger Scham über diesen sichtbaren Spritzer auflehnender Lust und die Nasen spitzen sich noch schärfer, noch höher.

Bitter kommt in ihnen eine verlorene Zeit zum Ausdruck. Im, oder kurz nach dem Krieg geboren, haben sie ihre Seele fleißig dem Geld und Haben verschrieben. In ihren Gesichtern wütet erstarrt die verlorene Ehre des goldenen Mutterkreuzes.  Die Gelenke knarzen. Ausgeblutet. Keine mit Medaille...

Mein Kaffee ist kalt. Nur noch zehn, zwölf Jahre und ich sehe mich in ihrem Kreise demütig knarzen...
Herausfordernd frech huscht unerwartet ein Schmunzeln in mein Gesicht: vielleicht verführe ich dann doch lieber den Pfarrer?

Minna Weise