Montag, 27. Januar 2020

Bauarbeiter der digitalen Welt


Bauarbeiter der digitalen Welt 

Stuttgart (Deutschland): Gabriele ist Anfang 50, Hausfrau und neuen Dingen gegenüber nur bedingt aufgeschlossen, aber nachdem die Nachbarin so geschwärmt hat, hat auch Gabriele eine intelligente Waschmaschine!
Gabriele kniet vor der Waschmaschine, schaut in die Trommel, zieht dann das Flusensieb heraus und steckt es wieder hinein.
Gabriele: Brav hast du gewaschen, ist ja alles sauber geworden. Bitte entferne jetzt die Flusen.
Kuala Lumpur (Malaysia): Musa, 40, hat eine Zeit lang Deutsch studiert. Er hat viele Jobs, unterrichtet z. B. malaysische Schönheitschirurgen, die in Deutschland Fuß fassen wollen oder bessert sein schmales Einkommen mit einem Nebenjob für Google als Artificial Intelligence (AI) Enabler auf. Er beantwortet online Kunden-Anfragen, die das System noch nicht kennt und speichert sie in der Datenbank.
Im Moment sitzt Musa vor seinem Computer, hat Kopfhörer auf und beobachtet am Bildschirm Gabriele, vor allem ihren Ausschnitt. Er ist müde, aber Gabriele gefällt ihm. Die Aufforderung ‚Bitte entferne die Flusen‘ kennt das System nicht, also ist er an der Reihe.
Er googelt das Wort ‚Flusen: Substantiv, feminin, steht für Fädchen… daraus kann er sich keinen Reim machen. Vielleicht hat er sich ja verhört, also antwortet er mit einem Wort, das er kennt: Busen, Substantiv, maskulin, der Busen.
Musa tippt die Antwort ein und der Sprachcomputer sagt zu Gabriele
‚Ich kann den Busen nicht entfernen‘
Gabriele weiß, dass ihre neue Waschmaschine mit KI, also künstlicher Intelligenz, ausgestattet ist. Sie weiß nichts von der Kamera und den Mikrophonen und hätte es ihr jemand erzählt, so hätte sie gelacht und von fake News gesprochen.
Gabriele: HÄ?
Musa korrigiert: Der Busen ist nicht zu entfernen.
Gabriele: Wieso Busen? Was geht dich mein Busen an?
Musa: Was genau wüscht Du? Möchtest Du deinen Busen entfernen?
Gabriele hat einen üppigen Busen und hat schon manchmal darüber nachgedacht, sich etwas ‚machen zu lassen‘. Sie vergisst das Flusensieb und lässt sich auf die neue Konversation ein.
Gabriele: Was ist denn falsch an meinem Busen? Er passt doch ganz gut.
Musa findet das auch, aber nun hat er schon mal angefangen, darüber zu sprechen.
Musa: Ja, er passt schon, aber ich kenne einen Schönheitschirurgen, Abud bin Marambu, der wohnt auch in Stuttgart, eine Koryphäe in Sachen Busen. Der könnte ihn dir noch passender machen, vielleicht ein bisschen anheben, dann schaust Du noch jünger aus.
Gabriele: Wieso anheben, ich dachte eher an verkleinern.
Musa: Nein, nicht verkleinern, wenn, dann nur etwas straffen, etwas anheben.
Gabriele: Was heißt straffen, meinst Du etwa, dass mein Busen hängt? Der hängt doch nicht! Obwohl, doch, der hängt, aber woher weißt Du das denn? Du Waschmaschine, Du?
Gabriele merkt, wie absurd die Situation ist. Sie spricht mit der Waschmaschine über ihren Busen! Sie steht auf, murmelt ein ‚Ach leck mich doch‘ und geht in die Küche, um das Abendessen zu kochen.
Am anderen Tag googelt sie Schönheitschirurgen in Stuttgart und findet den exotischen Namen Abud bin Marambu.
 Monate später wertet Google in seinem Analystics-System die Daten aus und findet eine seltsame Kongruenz zwischen intelligenten Waschmaschinen und Suchanfragen nach dem Schönheitschriurgen Abud bin Marambu.

Auf Musas Konto gehen Zahlungen aus Stuttgart ein mit einem Dankesschreiben von Abud.
Text von Brigitte Stenzhorn, 23.01.2020 

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