Montag, 17. Februar 2020

Assistenzen



Ja, Frau Richterin, ich will Ihnen erzählen, wie es wirklich war, ganz genau, mit allen Einzelheiten. Ich hatte es nämlich eilig an dem Nachmittag – was musste der Alte … äähhm, ich meine, es war noch für 11.00 Uhr eine Besprechung angesetzt; ich bitte Sie! An einem Freitag! Und um 15.00 Uhr war doch schon die Beerdigung, also die Trauerfeier. Und da will man doch nicht zu spät kommen. Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: Rudi, hat sie gesagt, jetzt trödel doch nicht so, du kommst noch zu deiner eigenen Beerdigung zu spät. Na ja, meine Beerdigung war das ja nicht, sondern die von Kalle, von Karl-Heinrich mein‘ ich, aber wie ich so an meine Mutter denke, bin ich ein bisschen aufs Gas, vielleicht ein bisschen viel, jedenfalls stand da ein Blitzer und ich habe doch schon zwei Punkte in Flensburg. Ich war ganz schön sauer und den Weg musste ich auch erst finden, weil die Straße gesperrt war und das Navi immer „wenn möglich, bitte wenden“ gesagt hat, aber es war doch nicht möglich wegen der Sperrung und ich wusste nicht, wo der verdammte Bergfriedhof sein sollte, weil da ist doch alles flach, da gibt’s gar keinen Berg und in der Todesanzeige war sowieso gestanden, die Trauerfeier findet in der Trauerhalle, Friedenstraße, statt. Aber Herbert hatte angerufen: nee, wir müssen zum Bergfriedhof.
Und wissen Sie, Frau Richterin, ich hab‘ so ein Sprechdings im Auto, so eine Alexa, die blöde Kuh – wie bitte? Äh ja, also ein … ein Voice System, so was, mit dem man sprechen kann und was dann macht, was man … wie? Ach so, Sie kennen das, Frau Richterin, jedenfalls habe ich gesagt: „Alexa, ruf‘ Christa Herget an“, weil ich sagen wollte, dass die Straße gesperrt ist, aber die blöde …. Ich meine, das System hat erst gefragt, ob es Christa Herrgott anrufen soll und dass es keinen Herrgott kennt und wie ich dann „Herget!!!“ gebrüllt habe, ja, gebrüllt, weil das Navi ja dauernd sagte: „wenn möglich, bitte wenden“, hat diese Alexa schon richtig beleidigt gefragt, wen sie anrufen soll. Da bin ich halt ein bisschen laut geworden – aber geholfen hat es auch nichts. Und, Frau Richterin, dann hab‘ ich ganz langsam und deutlich, jawoll, ganz deutlich gesagt, dann soll sie halt Hannes Kopp anrufen, weil, verstehen Sie, der hätte Christa auch anrufen können. Aber es hat wieder gedauert, bis diese blöde … die Alexa kapiert hat. „Möchten Sie, dass ich Kopp, Hannes anrufe?“ hat sie schließlich ganz hoheitsvoll gefragt. Na von mir aus. Und Hannes hat dann gesagt, dass es falsch ist, zum Bergfriedhof zu fahren. Dass die Trauerfeier in der Friedenstraße ist und ich mich beeilen soll. Christa hat er dann Gott sei Dank auch angerufen, aber den Herbert hat er nicht erreicht.
Also bin ich die Umleitung wieder zurückgefahren und das Navi hat jetzt geplärrt: „Eine Wegempfehlung kann nicht gegeben werden“. Wie bitte? Nein, Frau Richterin, ausschalten konnte ich das nicht, weil, ich hab‘ mich doch im Ort selber nicht ausgekannt und musste noch die Friedenstraße finden. Jedenfalls fahr‘ ich auf den Bahnübergang zu und dann gehen auch noch die Schranken runter – ausgerechnet, wo ich es doch so eilig hatte! Und wie dann das Bähnlein vorbei war, ja, da gingen die Schranken nicht mehr hoch, überhaupt nicht mehr. Zehn Minuten hab‘ ich gewartet! Zehn Minuten!! Wissen Sie eigentlich, wie lange zehn Minuten sind, wenn man zu einer Beerdigung muss? Und irgendwann ist mir dann die Hutschnur geplatzt und ich bin an der Schranke vorbeigefahren. Wissen Sie, es waren ja nur so Halbschranken und die Strecke, die war ja auch gut einzusehen, einspurig, klar. Und wie ich gerade so um die Schranke rumfahre, da plärrt diese blöde Alexa auf einmal: „Möchten Sie, dass ich Herget, Christa anrufe?“ Und plötzlich steht vor mir ein Polizeiauto und die winken mich raus und fragen, ob ich nicht wüsste, dass man vor geschlossenen Schranken halten muss. Ja, und dann, Frau Richterin, dann hab‘ ich einfach die Nerven verloren. Verstehen Sie mich bitte richtig: ich war nervös und diese blöde Alexa wiederholte dauernd ihren Satz wie eine hängengebliebene Schallplatte und dann steht da so ein Polizist, der keine Ahnung hat und bestimmt nicht zu einer Beerdigung muss und da hab‘ ich ihn ein bisschen geschüttelt. Wirklich nur ein bisschen und warum ihm gleich ein Zahn rausgefallen ist, kann ich nicht erklären. Es kam ja auch gleich der Kollege mit den Handschellen. Die waren rigoros und hatten gar kein Verständnis. Die haben mich gleich mitgenommen. Das war auch nicht recht. Na ja, die Trauerfeier hab‘ ich dann natürlich verpasst. Und, Frau Richterin, erkundigen Sie sich mal, ob die Schranken nicht immer noch zu sind. Und die Alexa, die schenk‘ ich Ihnen!

Sonja Meier
05.01.20

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