Montag, 1. Juli 2013

Ein Ende

Eigentlich hasste sie diese Musik, aber das durfte sie nicht sagen; es klang so ungebildet. Er würde wieder die Stirn runzeln wie damals. Sie erinnerte sich an seinen verwirrtenBlick, als sie bei der Mondscheinsonate, die aus diskret eingebauten Lautsprechern auf seiner Terrasse erklang, gesagt hatte: „Tanzen kann man darauf nicht. Hast du nur so was?“ Das machte natürlich der Altersunterschied, jedenfalls auch.

Er liebte diese Musik, sie verstand sie nicht. Die getragenen Töne langweilten sie. Aber gut, das eine oder andere Opfer musste man bringen. Schließlich hatte alles seinen Preis. Sie gähnte verstohlen und warf einen Seitenblick auf ihre Uhr. Immer noch mindestens eine Stunde. Na ja. Sie betrachtete die Mauern, efeubewachsen, darüber nur Himmel. Noch war es hell, aber die verblassenden Farben ließen die Dämmerung ahnen. Vögel sangen; sie hätte nicht sagen können welche. Ihre lauten Stimmen klangen schrill, als lägen sie in einem erbitterten Wettstreit mit den Musikern. Die Leute neben ihr schienen versunken in die schmelzenden Töne der Streicher. Bernhard hatte gesagt, es sei kein typisches Stück für den Komponisten. Warum wusste sie nicht mehr. Sie gähnte wieder unauffällig. Immerhin würden sie noch eine Kleinigkeit essen gehen, darauf hatte sie bestanden, und dann … Sie dehnte sich leise lächelnd. Ihre Garderobe war sorgfältig gewählt für diesen Abend; das schmale, lange Kleid schmeichelte ihrer Figur, das klare Rot betonte die gebräunte Haut, ihre dunkles Haar und ihre tiefbraunen Augen. Langsam schlug sie die Beine übereinander, der Seitenschlitz rutschte weit über ihr Knie. Sie würde alles in die Waagschale werfen müssen, denn die Beziehung entwickelte sich nicht so, wie sie es wünschte. Nun gut …

Sie fröstelte. Wind war aufgekommen. Sie blickte nach oben, sah dunkle Wolken, wo eben noch blassblaue Dämmerung gewesen war und zog die Schultern hoch. Auch das noch! Die Steinmauern hielten den Klang der Instrumente, darüber tobten die Elemente. Eine Windbö fuhr pfeifend ins Efeu, dumpfes Grollen mischte sich in die Musik. Unruhe breitete sich im Publikum aus. Ein grelles Licht zuckte über den Mauern, beinahe gleichzeitig übertönte der Donner das Orchester, und ein Sturzbach ergoss sich über Musiker und Publikum. Alle flohen.  Panikartig rannten die Menschen zum Ausgang, suchten einen Unterstand, Schutz vor der Sintflut, die das Wasser in Sekundenschnelle zentimeterhoch stehen ließ.

Sie war sofort nass bis auf die Haut, folgte Bernhard, der sie Richtung Tor zerrte, stolperte, ein Absatz brach. Sie wäre beinahe gestürzt. Ihr Haar klebte in nassen Strähnen im Gesicht, das Make-up zog schwarze Schlieren über Wange und Kinn. Jemand öffnete Seitentüren, und sie flüchteten in einen kahlen, hohen Raum. Kalt war es hier, aber wenigstens hatten sie Schutz vor dem tobenden Gewitter. Sie zitterte vor Kälte und Angst.

„Mein Gott“ sagte Bernhard, während er ihr mit ritterlicher Geste sein triefendnasses Jackett über die Schultern legte. „Die Instrumente! Wie schrecklich!“.

 

09.06.13

Sonja Meier


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