Freitag, 13. November 2015

Zwei flotte Käfer

Als meine Schwester Isabell Anfang der 70iger ihre Führerscheinprüfung bestanden hatte, brachen neue Zeiten an. Für sie, für mich und für unsere Mutter. Letztere hätte es erahnen können, spätestens, als auf ihren sonnengelben Käfer ein Fußball großes Keep Smiling gepappt wurde. Unwiderruflich wie der Kuckuck vom Gerichtsvollzieher.
Zunächst wurde das Ereignis gefeiert und unter Kontrolle von Muttern die ersten Runden um den Block gezogen.
Erster Gang, langsam anrollen ohne ihn abzuwürgen.
„Beide Hände an den Lenker!“
„Nicht so früh schalten!“
„Vorsicht, da ist ein Fußgänger!“
„Die Kupplung langsamer kommen lassen! Jetzt ist er abgesoffen.“
Nicht nur der Käfer streikte. Auch Isabell. Durch den Rückspiegel schaute sie mich mit wie Warnbojen blinkenden Pickeln an.
Uns wurde klar, in die weite Welt hinaus fahren, sie neu entdecken, erobern, das ging nur ohne Mutter. Außerdem war Isabell der Meinung, dass zu ihrer neuen Freiheit auch ein neues Gesicht gehöre: diese Pickel müssen weg. Wir dachten damals in Zeitschriften wie Petra, an Schönheitsprogramme à la „große und kleine Brigitte“ und natürlich an die Bravo. Isabell durfte sie nun offiziell lesen, ich nur undercover und sammelte heimlich die Einzelteile von Little Jo. Der schaffte es als Ganzes zusammengeklebt und in Lebensgröße an meine Zimmertüre. Er war übrigens das letzte Bild eines Mannes, das ich mir zusammensetzte. Später war es eher umgekehrt.

Wir durchforsteten die Gelben Seiten nach Kosmetikerinnen. Nicht hier im Städtchen, sondern weiter draußen, viel weiter draußen sollte das Studio sein. In Langerwehe wurden wir fündig. Mit dem Auto circa 25 Minuten über Land. Frau Plunder bot sogar eine Gruppenveranstaltung an, bei der auch ich mitkommen konnte. Zwei zum Preis von einer. Wenn das nicht ein Argument war. Bei mir machte sich die Pubertät leider auch sichtbar. Im Gesicht schossen aktive Minivulkane hervor, die regelmäßig ausbrachen.
Das zweite nicht widerlegbare Argument war, dass die Gesichtsmasken und Cremes bei Frau Plunder von jedem Teilnehmer selbst angerührt werden konnten. Für Isabel eine wunderbare erste Übung in Salben anrühren, da sie ab Herbst mit ihrem Pharmaziestudium beginnen würde. Unsere Mutter gab sich geschlagen. Wir fuhren, sie blieb.

Dann war es soweit. Los ging’s mit der neuesten Kassette von „Bläck Fööss“ in ohrenbetäubender Lautstärke. Mit einem Käfer fährt man nicht, ein Käfer fliegt. Langerwehe wir kommen, mit offenen Fenstern und flatterten Haaren.
Kein Mal würgte Isabell den Motor ab und immer schnurrte der richtige Gang. Nur ein Radfahrer schimpfte hinter uns her, nachdem wir an ihm vorbeigefahren waren. Isabell warf einen prüfenden Blick in den Rückspiegel und meinte schlichtend in mein erschrockenes Gesicht:
„Ach was, Lisa, der schimpft nicht, der winkt uns bloß.“

Wir waren acht Frauen in bester Stimmung und Alter. Allerdings hatten die Anderen keine Pickel mehr, dafür gehörten sie in die Kategorie: Spatel Alter. Das war aber nebensächlich. Hatte man die Pampe einmal drauf, sahen wir eh alle gleich aus. Wen interessierte es, was man darunter verbarg?
Isabell und ich hatten die Auswahl zwischen vier Masken. Meine Schwester konnte sich, wie so oft, nicht entscheiden und schlug mit schrägem Grinsen vor, wir rühren alle an und nehmen den Rest mit. Sie hätte da schon etwas vorbetreitet und schielte zu ihrer Tasche. Nicht nur das Anrühren im Akkord war ganz schöner Stress. Ich musste Frau Plunder immer wieder in ein Gespräch verwickeln, damit Isabel heimlich die mitgebrachten Arzneidöschen befüllen und verschwinden lassen konnte.

Als der Kurs zu Ende war und die anderen mit frischen, neuen Gesichtern erstrahlten, hatten wir beide noch unsere grüne Pampe im Gesicht. Noch war sie kühl und feucht, was sich schnell ändern sollte.
Frau Plunder, wenn auch etwas zögerlich, ließ uns so nach Hause fahren. Mit dem Auto seien es ja auch nur 20 Minuten und draußen bereits duster. Isabell konnte schon immer überzeugend und charmant sein, wenn sie wollte.

Gut gelaunt machten wir uns, im 4-Zylinder 4-Takt vom Acker. Die Landstraße war bereits um 21:00 Uhr leergefegt, fast ganz. Da stand ein Auto am Straßenrand. Mist, ein Polizeiauto. Verkehrskontrolle. Isabel bremste, dass wir in der Gurt flogen.
Schnell schaltete ich das Radio aus. Tatsächlich, zwei Polizisten kamen O-beinig auf uns zu. Leider keiner von der Ponderosa. Isabel kurbelte die Fensterscheibe runter.
„Ihre Papiere bitte.“
„Kanscht die ma aus der Kap hole“, nuschelte mir Isabell zu.
„Hä?“ Ach du meine Güte, diese dämliche Maske waren wie ich erstarrt. Noch nicht mal mehr die Lippen ließen sich richtig bewegen.
„Hö hi Huhu“, versuchte sie es noch mal und zeigte hektisch auf das Handschuhfach.
„Haben Sie etwas getrunken?“, fragte der Polizist und beugte sich zu ihr herunter.
Isabel schüttelte den Kopf und reichte ihm Fahrzeugschein und Führerschein durchs Fenster. Mit der Taschenlampe beleuchtete er zuerst die Papiere und dann uns.
„Aussteigen!“, schrie er. Danach ging alles sehr schnell. Die Türen wurden aufgerissen, wir beide herausgezogen und mit den Händen ans Dach gestellt. Beine breit.
„Spin Sie do?“, schimpfte Isabell, so gut wie möglich.
Dann mussten wir unsere Hände hinterm Kopf verschränken und uns langsam umdrehen. Verzweifelt versuchte meine Schwester dem Polizisten zu erklären, dass wir von einer Kosmetikerin kamen und nur eine harmlose Gesichtsmaske im Gesicht hatte. Der Jüngere der beiden kam näher heran und leuchtete uns voll ins Gesicht. Dann fing er an zu grinsen.
Mithilfe der geklauten, angerührten Masken konnten wir unsere Unschuld endgültig beweisen. Nun grinste auch der ältere Polizist. Die zwei hatten ihren Spaß.
Immerhin durften wir einsteigen und losfahren. Kurz bevor wir zu Hause ankamen fiel Isabell ein, dass die Bullen vergessen hatten uns ein Knöllchen aufzuschreiben. Wir lachten bis die Masken rissen.

© Frau Gunkelberg 11/15

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