Als meine Schwester Isabell Anfang der 70iger
ihre Führerscheinprüfung bestanden hatte, brachen neue Zeiten an. Für
sie, für mich und für unsere Mutter. Letztere hätte es erahnen können,
spätestens, als auf ihren sonnengelben Käfer ein Fußball großes Keep
Smiling gepappt wurde. Unwiderruflich wie der Kuckuck vom
Gerichtsvollzieher.
Zunächst wurde das Ereignis gefeiert und unter Kontrolle von Muttern die ersten Runden um den Block gezogen.
Erster Gang, langsam anrollen ohne ihn abzuwürgen.
„Beide Hände an den Lenker!“
„Nicht so früh schalten!“
„Vorsicht, da ist ein Fußgänger!“
„Die Kupplung langsamer kommen lassen! Jetzt ist er abgesoffen.“
Nicht nur der Käfer streikte. Auch Isabell. Durch den Rückspiegel schaute sie mich mit wie Warnbojen blinkenden Pickeln an.
Uns wurde klar, in die weite Welt hinaus fahren, sie neu entdecken,
erobern, das ging nur ohne Mutter. Außerdem war Isabell der Meinung,
dass zu ihrer neuen Freiheit auch ein neues Gesicht gehöre: diese Pickel
müssen weg. Wir dachten damals in Zeitschriften wie Petra, an
Schönheitsprogramme à la „große und kleine Brigitte“ und natürlich an
die Bravo. Isabell durfte sie nun offiziell lesen, ich nur undercover
und sammelte heimlich die Einzelteile von Little Jo. Der schaffte es als
Ganzes zusammengeklebt und in Lebensgröße an meine Zimmertüre. Er war
übrigens das letzte Bild eines Mannes, das ich mir zusammensetzte.
Später war es eher umgekehrt.
Wir durchforsteten die Gelben Seiten nach Kosmetikerinnen. Nicht hier im
Städtchen, sondern weiter draußen, viel weiter draußen sollte das
Studio sein. In Langerwehe wurden wir fündig. Mit dem Auto circa 25
Minuten über Land. Frau Plunder bot sogar eine Gruppenveranstaltung an,
bei der auch ich mitkommen konnte. Zwei zum Preis von einer. Wenn das
nicht ein Argument war. Bei mir machte sich die Pubertät leider auch
sichtbar. Im Gesicht schossen aktive Minivulkane hervor, die regelmäßig
ausbrachen.
Das zweite nicht widerlegbare Argument war, dass die Gesichtsmasken und
Cremes bei Frau Plunder von jedem Teilnehmer selbst angerührt werden
konnten. Für Isabel eine wunderbare erste Übung in Salben anrühren, da
sie ab Herbst mit ihrem Pharmaziestudium beginnen würde. Unsere Mutter
gab sich geschlagen. Wir fuhren, sie blieb.
Dann war es soweit. Los ging’s mit der neuesten Kassette von „Bläck
Fööss“ in ohrenbetäubender Lautstärke. Mit einem Käfer fährt man nicht,
ein Käfer fliegt. Langerwehe wir kommen, mit offenen Fenstern und
flatterten Haaren.
Kein Mal würgte Isabell den Motor ab und immer schnurrte der richtige
Gang. Nur ein Radfahrer schimpfte hinter uns her, nachdem wir an ihm
vorbeigefahren waren. Isabell warf einen prüfenden Blick in den
Rückspiegel und meinte schlichtend in mein erschrockenes Gesicht:
„Ach was, Lisa, der schimpft nicht, der winkt uns bloß.“
Wir waren acht Frauen in bester Stimmung und Alter. Allerdings hatten
die Anderen keine Pickel mehr, dafür gehörten sie in die Kategorie:
Spatel Alter. Das war aber nebensächlich. Hatte man die Pampe einmal
drauf, sahen wir eh alle gleich aus. Wen interessierte es, was man
darunter verbarg?
Isabell und ich hatten die Auswahl zwischen vier Masken. Meine Schwester
konnte sich, wie so oft, nicht entscheiden und schlug mit schrägem
Grinsen vor, wir rühren alle an und nehmen den Rest mit. Sie hätte da
schon etwas vorbetreitet und schielte zu ihrer Tasche. Nicht nur das
Anrühren im Akkord war ganz schöner Stress. Ich musste Frau Plunder
immer wieder in ein Gespräch verwickeln, damit Isabel heimlich die
mitgebrachten Arzneidöschen befüllen und verschwinden lassen konnte.
Als der Kurs zu Ende war und die anderen mit frischen, neuen Gesichtern
erstrahlten, hatten wir beide noch unsere grüne Pampe im Gesicht. Noch
war sie kühl und feucht, was sich schnell ändern sollte.
Frau Plunder, wenn auch etwas zögerlich, ließ uns so nach Hause fahren.
Mit dem Auto seien es ja auch nur 20 Minuten und draußen bereits duster.
Isabell konnte schon immer überzeugend und charmant sein, wenn sie
wollte.
Gut gelaunt machten wir uns, im 4-Zylinder 4-Takt vom Acker. Die
Landstraße war bereits um 21:00 Uhr leergefegt, fast ganz. Da stand ein
Auto am Straßenrand. Mist, ein Polizeiauto. Verkehrskontrolle. Isabel
bremste, dass wir in der Gurt flogen.
Schnell schaltete ich das Radio aus. Tatsächlich, zwei Polizisten kamen
O-beinig auf uns zu. Leider keiner von der Ponderosa. Isabel kurbelte
die Fensterscheibe runter.
„Ihre Papiere bitte.“
„Kanscht die ma aus der Kap hole“, nuschelte mir Isabell zu.
„Hä?“ Ach du meine Güte, diese dämliche Maske waren wie ich erstarrt.
Noch nicht mal mehr die Lippen ließen sich richtig bewegen.
„Hö hi Huhu“, versuchte sie es noch mal und zeigte hektisch auf das Handschuhfach.
„Haben Sie etwas getrunken?“, fragte der Polizist und beugte sich zu ihr herunter.
Isabel schüttelte den Kopf und reichte ihm Fahrzeugschein und
Führerschein durchs Fenster. Mit der Taschenlampe beleuchtete er zuerst
die Papiere und dann uns.
„Aussteigen!“, schrie er. Danach ging alles sehr schnell. Die Türen
wurden aufgerissen, wir beide herausgezogen und mit den Händen ans Dach
gestellt. Beine breit.
„Spin Sie do?“, schimpfte Isabell, so gut wie möglich.
Dann mussten wir unsere Hände hinterm Kopf verschränken und uns langsam
umdrehen. Verzweifelt versuchte meine Schwester dem Polizisten zu
erklären, dass wir von einer Kosmetikerin kamen und nur eine harmlose
Gesichtsmaske im Gesicht hatte. Der Jüngere der beiden kam näher heran
und leuchtete uns voll ins Gesicht. Dann fing er an zu grinsen.
Mithilfe der geklauten, angerührten Masken konnten wir unsere Unschuld
endgültig beweisen. Nun grinste auch der ältere Polizist. Die zwei
hatten ihren Spaß.
Immerhin durften wir einsteigen und losfahren. Kurz bevor wir zu Hause
ankamen fiel Isabell ein, dass die Bullen vergessen hatten uns ein
Knöllchen aufzuschreiben. Wir lachten bis die Masken rissen.
© Frau Gunkelberg 11/15
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