Samstag, 28. November 2015

Magic Cleaning

Ich werde ein ganz neuer Mensch sein, kaum wiederzuerkennen. Mein neuer Ratgeber verspricht mir wahre Wunder, wenn es mir nur gelingt, meine sämtlichen irdischen Besitztümer zu durchforsten, nur das zu behalten, was ich liebe und den Rest konsequent und gnadenlos zu entsorgen. Die wenigen Dinge, die noch übrig bleiben, seien dann ganz leicht in eine harmonische, dauerhafte Ordnung zu bringen. „Magic Cleaning“ heißt die Methode. Und die Belohnung für diesen Kraftakt kann sich sehen lassen: Frei werdende Energien! Sprühende Kreativität! Ruhe und Gelassenheit, weil ich nie wieder etwas suchen muss! Eine glücklichere Familie und neuer Schwung in der Ehe! Ganz nebenbei werde ich natürlich einige Kilos verlieren, denn wenn ich meinem Haus diese Entschlackungskur angedeihen lasse, wird mein Körper automatisch mitziehen.
Also, frisch ans Werk! Das Buch rät mir, mit der Kleidung anzufangen. Alle Klamotten raus aus dem Schrank, aus der Sporttasche, von der Garderobe und aus der Sofaecke. Alles kommt auf einen Haufen. Nun soll ich jedes Teil in die Hand nehmen und mich fragen, ob ich es liebe. Lautet die Antwort „Nein!“, kommt es weg – egal, ob es sauteuer war oder noch fast neu ist. Das wird toll! Nie wieder werde ich so eine Klischeefrau sein, die einen vollgestopften Kleiderschrank und nichts zum Anziehen hat!
Der Anfang ist leicht: Fusselige Pullover, Sweatshirts, die mir ein Wurstpellengefühl vermitteln, geerbte Schlabberteile in scheußlichen Farben – kein Problem, die alle in einen Altkleidersack zu stopfen. Die Autorin meines Buches verlangt jetzt aber, dass ich mich bei jedem Teil bedanke, von dem ich mich verabschiede. Das ist schon schwerer. Soll ich wirklich sagen: „Liebes schwarzes Spitzennachthemd, ich danke dir für die Erkenntnis, dass ich doch nicht der Typ für Vamp-Klamotten bin – ich wünsche dir viel Glück auf deinem weiteren Lebensweg?“ Nicht wirklich mein Ding. Beim Blick in den Spiegel stelle ich vielmehr fest, dass mein Gesichtsausdruck dem eines Revolverhelden aus einem Italo-Western ähnelt – kurz vor dem nächsten Abschuss. Grimmig lasse ich meinen Blick über den Kleiderhaufen wandern: Grüner Trachtenmantel, du entkommst mir nicht! Ha, nimm das, du Urlaubskleid von minderer Qualität!
Schließlich habe ich mich so in Rage sortiert, dass mir ganz flau wird. Eine Pause ist angesagt. Ich koche Tee und stopfe mir ein paar Stücke Schokolade in den Mund. Die Sache mit dem Abnehmen ist schließlich erst nach beendeter Entrümpelungsaktion dran. Außerdem schreibt die Autorin, dass das Ganze ein Aufräumfest sein soll – na ja, sie ist Japanerin und hat wohl eine ganz andere Vorstellung vom Feiern als ich.
Noch ein paar Kekse,. dann geht es weiter. Bei den Socken und Strümpfen scheitere ich endgültig an der Frage „Du liebst sie, du liebst sie nicht“. Ich kann doch nicht alle meine Socken wegwerfen, nur weil sie mein Herz nicht berühren! Die einzigen Strümpfe, die ich liebe – Overknees in taubenblau mit orangefarbenem Pünktchenmuster, mit Mäusezahnrand und Schleife, mehrfach geflickt – trage ich gar nicht mehr, weil sie rutschen. Ich entschließe mich zu einem pragmatischeren Ansatz und werfe nur weg, was kaputt, ausgeleiert oder verfärbt ist. Liebe hin oder her, schließlich will ich im Winter nicht barfuß gehen.
Am Ende bin ich ganz zufrieden: Mein Kleiderschrank sieht wirklich ordentlich und übersichtlich aus. Dumm nur, dass ich zwar noch viele T-Shirts, aber fast keine Hosen und Pullover mehr übrig habe. Da muss ich wohl mal wieder einkaufen gehen – natürlich mit System und mit Bedacht!
Demnächst kommen die Bücher dran. Wie das gehen soll, weiß ich auch noch nicht – keine Ahnung, ob ich „Die Brüder Karamasow“ liebe oder nicht, schließlich habe ich es noch nicht gelesen. Doch für heute ist es genug, ich stelle meinen Ratgeber erst mal zurück ins Regal, gleich neben „Simplify your Life“, „Gut Aufgeräumt“ und „Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags“

von Pia Winkler

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