Sagen Sie nie, das Landleben sei
langweilig, das ist grundfalsch. Glauben Sie mir, auch fern der Stadt können
Sie anregenden Alltag erleben.
Nehmen wir zum Beispiel R., ein idyllisch
gelegenes Örtchen, etwa zehn Kilometer von der nächsten Stadt entfernt,
eingebettet in die sanfthügelige Landschaft Frankens; zwei Bauernhöfe, eine
Mühle, im übrigen gepflegte Ein- und Zweifamilienhäuser in ebenso gepflegten
Gärten, vereinzelt, wirklich nur vereinzelt, ein Gartenzwerg. Es ist später
Vormittag an einem warmen, sonnigen Sommertag. Die Jagdstraße liegt, wie alle
umliegenden Straßen, in meditativer Ruhe. Nichts bewegt sich. Nur ein weißer
Transporter fährt langsam die Straße hinauf und hält vor Nummer zwölf.
Sicherheitsdienst Müller, so die rote Aufschrift an der Seite. Zwei Männer mittleren
Alters steigen aus, zögern, da tritt ein Dritter hinzu. Jünger, schlank,
dunkelhaarig, mit Sonnenbrille. Es ist nicht ganz klar, wo der plötzlich
herkommt. Von der anderen Straßenseite? Von dem dunklen PKW, der weiter vorne
steht? Die Männer grüßen kurz, gehen zur Haustür von Nummer zwölf und klingeln.
Das können sie lange tun, Familie B. ist verreist und kommt erst am Wochenende
zurück. Und der Mieter der Einliegerwohnung arbeitet, sonst wäre sein Auto da. So
was weiß man hier einfach; außerdem steht die alte Rostlaube immer im Weg.
Der junge Mann klingelt wieder,
nichts tut sich, natürlich nicht. Der ältere aus dem Transporter, er trägt
einen imponierenden Schnauzbart, holt von
dort einen Werkzeugkoffer, während der junge versucht, um das Haus
herumzugehen. Nein, da kommt er nicht weit. Dort ist eine Mauer und ein Tor;
das ist zu, wenn B. nicht da sind. Die drei sehen sich unschlüssig um. Es ist
niemand zu sehen und nichts zu hören, außer den Spatzen im Haselnussstrauch von
Nr. 11. Die plärren immer. Der ältere Mann geht schließlich ein paar Schritte
weiter zu einem Fenster. Das ist gekippt und gehört zur Küche der Einliegerwohnung.
Er holt eine Art Leine aus dem Koffer, bindet eine Schlinge und fängt an, an
dem Fenster herumzufummeln. Spätestens jetzt schrillen doch alle Alarmglocken.
Die Masche kennt man doch! Wo kommt eigentlich das Auto her? Das Nummernschild
ist zu schmutzig, um es sicher lesen zu können. Typisch! Genauso gehen die doch
vor! Dass da niemand aufmerksam wird … Der junge Man sieht sich immer wieder
um, ungeduldig, sagt ärgerlich etwas zu dem dritten, der nur dabeisteht.
Herrgott, sind das Dilettanten! Jetzt fummeln die schon eine Viertelstunde an
dem Fenster rum und niemand kommt und fragt: Was machen Sie da eigentlich,
meine Herren?
Aber Moment, bewegt sich da nicht
ein Vorhang im Esszimmer von Nummer neun? Der alte Benno S. lugt durch dicke
Brillengläser und tritt nach einer Weile, bewaffnet mit einer Gartenschere,
nach draußen. Jetzt ist das Fenster von Nummer zwölf offen und zwei der Männer
klettern ins Haus. Der dritte, der bis jetzt untätig war, bleibt am Transporter
stehen und öffnet die rückwärtigen Türen. Nein, dem ist Benno nicht gewachsen.
Er schlurft zurück ins Haus, die kurzen Schritte fast zum Laufen beschleunigt. Nicht
einmal zehn Minuten später fährt ein Streifenwagen mit erhöhter Geschwindigkeit,
aber ohne Blaulicht und Sirene die Jagdstraße hinauf. Ja, auch auf dem Land ist
dein Freund und Helfer immer in der Nähe. Der Mann am Transporter kratzt sich
den Kopf und ruft etwas Richtung Haus. Die Beamten springen aus dem Wagen,
beobachtet, im Sichtschutz seiner Lorbeerhecke, von Benno S., der vor Aufregung
rote Bäckchen hat und an den Nägeln kaut.
Vor Nummer zwölf gibt es einen
kurzen Disput und dann – dann, ja dann steigt einer der Polizeibeamten durch
das offene Fenster! Benno hält sich am Gartenzaun fest. Quälende zwanzig
Minuten geschieht nichts, dann klettert der junge Mann wieder heraus und hievt
mithilfe des Untätigen, in den jetzt plötzlich Leben kommt, etwas
augenscheinlich sehr Schweres, Unhandliches heraus. Auch der zweite Polizist
packt schließlich mit an. Donnerwetter: Burmester B 80! Die wiegen was. Die
Männer schwitzen, die Box verschwindet im Auto, der Polizist notiert etwas, die
nächste Box folgt der ersten, dann steigt der junge Mann wieder ins Haus,
schließt das Fenster von innen und kommt nach einer Weile mit dem Schnauzbärtigen
und dem Polizisten durch den Garten und das Tor nach draußen. Er wirft einen
letzten Blick zurück, verabschiedet sich per Handschlag von seinen Begleitern
und den Polizisten und geht die Straße hinauf. Transporter und Polizeiwagen
fahren in verschiedene Richtungen davon. Benno S. hat es bis zur Gartenbank
geschafft und versucht, wieder zu Atem zu kommen. Die Jagdstraße liegt in
mittäglicher Ruhe, selbst die Spatzen schweigen jetzt.
Und nur der aufmerksame Leser der
Landkreisnachrichten am Freitag stolpert vielleicht über die zweispaltige Kurzmeldung
ganz am Schluss:
Zu einem kuriosen Einsatz wurde
die Polizei am Dienstag in R. gerufen, wo vermeintliche Diebe das gekippte
Fenster einer Einliegerwohnung geöffnet hatten und von dort zwei wertvolle
Stereoboxen in ihren Transporter schafften. Es handelte sich um die
Zwangsöffnung einer Wohnung durch den Gerichtsvollzieher, der wegen
Zahlungsverzuges des Vollstreckungsschulders die Pfandstücke abholen musste. Um
die Haustüre des ahnungslosen Hauseigentümers nicht zu beschädigen, hatte er
diesen Weg gewählt, den der Mieter (und Schuldner des Verfahrens) ihm
fahrlässig selbst gewährt hatte. Die Polizisten leisteten Amtshilfe und packten
mit an.
09.11.19
Sonja Meier
Sonja Meier
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