Mittwoch, 28. November 2018

Knoten

In Knuts Leben hatte sich in letzter Zeit ziemlich alles verknotet. Nachdem Bettina und er ihre Beziehung entwirrt und schließlich gelöst hatten und er sich ungebunden und frei fühlen konnte, begann es – ganz beiläufig irgendwie. Es fing damit an, dass die Schnürsenkel seiner Schuhe morgens immer verknotet waren. Erst dachte er, er habe sie am Abend zuvor nicht gelöst und sei so aus den Schuhen geschlüpft, sie waren ihm nämlich ein wenig weit. Aber dann löste er die Schnürsenkel beim nach Hause kommen  ganz bewusst und fand sie am nächsten Morgen wieder verknotet vor. Er entknotete sie also, schlüpfte in die Schuhe und verknotete sie wieder. Zunächst ärgerte er sich, vor allem war es ihm unerklärlich. Sein Papagei, ein Grünflügelara namens Gordios, schnarrte zwar jeden Morgen ein höhnisches Lachen, saß aber in seinem Käfig und konnte es nicht gewesen sein. Knut wechselte die Schuhe mit dem Ergebnis, dass morgens nicht nur die Schnürsenkel säuberlich verknotet waren, nein, sie hatten sich auch mit dem des anderen Schuhs verknotet – dafür fehlte das Schleifchen. Gordios lachte noch lauter und krächzte etwas Unverständliches. Also gewöhnte Knut sich daran, die Schnürsenkel seiner Schuhe jeden Morgen erst zu lösen, bevor er in die Schuhe schlüpfte und sie neu band.
Aber dann ging es weiter. Sein Taschentuch trug plötzlich dort, wo sein Monogramm aufgestickt war, einen Knoten, klein, aber ziemlich fest. Und dann die Gästehandtücher! Seine eigenen Handtücher blieben unbehelligt, aber in dem Stapel der Gästehandtücher trugen plötzlich die hellgrauen einen Knoten, die dunkelgrauen blieben glatt. In der Folgewoche war es umgekehrt und dann wechselten die Knoten wöchentlich. Seine Gäste begannen ihn für skurril zu halten und amüsierten sich. Dass das Staubsaugerkabel jede Woche beim Einziehen exakt in der Mitte einen Knoten bekam, wunderte ihn schon nicht mehr. Gordios schlug jedes Mal begeisterter seine Flügel und krächzte etwas, das wie „Knoten-Knut“ klang. Beim dritten Mal drohte Knut ihm mit einem Knoten im Hals. Das Bügeleisenkabel hatte inzwischen zwei Knoten, das Kabel der kleinen Stehlampe auch, jeden Abend musste er den dicken Knoten in der Sofadecke lösen und als schließlich sein Anzugjackenärmel einen Knoten aufwies, sobald er die Jacke ablegte und auch nur einen Moment aus dem Augen ließ, sprach ihn sein langjähriger Freund und Kollege Felix an und riet ihm bei einem entspannten Feierabendbier zu einer neuen Bindung oder therapeutischer Beratung. Knut schwitzte in seiner Jacke.
Als er eines Morgens die Tür seines Kleiderschranks öffnete und alle Anzughosen abwechselnd im linken und rechten Bein einen Knoten hatten, wusste er, dass er handeln musste – und er hatte eine Idee. Er bat telefonisch um einer paar Tage Urlaub, zog Jogginghose und T-shirt an, kaufte sich Schuhe mit Klettverschlüssen und setzte sich an den Laptop. Den Knoten im Netzkabel ignorierte er konsequent. Unter der Domain www.gordios-knot-your-life.de gründete er ein Institut zur Vernetzung und Verknüpfung von Interessen aller Art. Er brachte potentielle Lebensabschnittsgefährten mit interessierten Lebensabschnittsgefährtinnen zusammen, Putzhilfen mit hoffnungslos überforderten Ex-Lebensabschnittsgefährten, Hobby-Astrologen mit Rat suchenden Alltagsuntauglichen, Imker mit Honigliebhabern und Gartenbesitzern, Globetrotter mit Couch-Potatos, die gegen Chips und Bier die fremde Wohnung hüteten, er vermittelte Hunde an Menschen und umgekehrt, Clowns an chronisch Depressive und hoffnungslos Überschuldete an Beratungsstellen im befreundeten Ausland. Knut brachte Skatbrüder zusammen  und Sportfreunde, Kinder und Kindermädchen, Köche und Gourmets, Anlageberater und Geld, Kunstschaffende und Kunstliebende. Knut verknüpfte alles.
Binnen weniger Monate florierte sein kleines Unternehmen und er erwog, seine Stelle in der Bank zu kündigen. Die Entscheidung stellte er jedoch noch einmal zurück, als er feststellte, dass sich an seiner Lieblingskrawatte der Knoten nicht mehr binden ließ.


08.07.18
Sonja Meier



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