Donnerstag, 26. Oktober 2017

Reflektionen des Spitzes Schmitz (Auszug KW 8)

Dienstag, 17.2.
Wunderbarer Februar. Eine dicke, wattige Wolkendecke, ein irgendwie tröstendes, alles fürsorglich dämpfendes Grau. Meine Lieblingsfarbe ... in diesem Monat. Habe gehört, dass ein neues Futter auf dem Markt sein soll. Irgendetwas mit krossen Krümeln drauf. Nicht mein Stil! Gestern Abend hatte Clasen Besuch. Ralph war da. Ralph mit ph, das sagt doch alles. Sie ereiferten sich über den Appleslogan 'Everything new starts with a new product' oder so ähnlich. Ich stimmte laut zu, fürchte aber, dass ich nicht verstanden wurde. Menschen!

A propos! Seit gestern haben wir eine neue Postbotin. Mein erster Eindruck: sehr zurückhaltend mir gegenüber. Macht mich neugierig!


Mittwoch, 18.2.

Heute morgen einige Telefonate von Clasen. Er fährt nächste Woche nach Dietfurt, 6 Tage Zen-Kloster, Schweigen. Er will sich regenerieren und muss noch einiges regeln u.a. mich. Er lässt sich rebooten und ich muss mich auf meine alten Tage mal wieder umstellen. Sechs Tage mit Ralph!

Es hat schon seine Gründe, dass wir beim Nachnamen geblieben sind,  Clasen und ich. Gegenseitiger Respekt und das Wissen um die Grenzen der  Kommunikation zwischen Mensch und Tier (siehe gestern Abend!).

Heute Nachmittag kurzer Spaziergang mit Clasen. Hörte dabei wie Herr O. der neuen Postbotin anvertraute: „Lieber 7 Tage Kartoffeln in der Woche als ins  Altersheim.“ Alt werden – auch mein Thema.


Donnerstag, 19.2.

Am Morgen leider viel Sonne. Die Fenster müssten geputzt werden. Nicht mein Bier. Wurde heute nicht hinter dem Ofen hervorgeholt. Gott sei Dank! Starrte anstatt dessen lange durch das Küchenfenster. Eine meiner bevorzugten Ent­spannungsmethoden. Überlege, eine Studie in Grau zu schreiben. Nachtrag: heute keine Postbotin in Sicht!



Freitag, 20. 2.

Clasen fing schon heute morgen um 6:20 h an zu packen. Immer wieder schlenderte er zu seiner Reisetasche packte Din­ge ein, dann wieder aus. Er ist auch nicht mehr der Jüngste. Das Gefühl, sonst in Stress zu geraten, trieb ihn wohl. Dabei geht es erst am Montag los...erst?...schon!!! Bin aufgewühlt! Das, was auf mich zukommt – Ralph -, erfreut mich nicht. Bin aber machtlos. Kann nicht weiterschreiben.

Nachtrag 18:01 h. Um mich abzureagieren, schlüpfte ich durch die nur angelehnte Terrassentür, machte einige Bock­­sprünge im Garten und grub anschließend schon mal ein bisschen den Garten um. Das verschaffte erste Erleichterung. Ajax kam an den Zaun und vertraute mir an, sein Frauchen hätte, als die neue Postbotin vorbeisauste, um ihn davon abzuhalten zu betteln, laut und vernehmbar (auch für andere!!) zu ihm gesagt: „Das ist nicht die Frau Mock!“  Er hat sich so geschämt. Mit Sicherheit erfasst er den Unterschied zwischen der alten und der neuen Post­botin besser als sie, außerdem fühlte er sich verkannt.

Normalerweise kommt er mit Frau Börnes übergriffigem Ton gut zurecht  Aber auch er hat nun mal gelegentlich sei­ne Grenzen! Um ihn abzulenken, entwickelte ich absurde Rachepläne an seinem Frauchen: Hundeleine um die stäm­migen Beine gewickelt, durchdringendes Gebell von morgens 2-3 h  oder wohl schlimmer das Gegenteil, abso­lute Stille in der kommenden Woche. Wir haben noch lange gekichert und uns auf dem Boden gewälzt.





Sonnabend, 21. Februar

Schreckliche Albträume: Clasen radelte in Postuniform an mir vorbei, laut ausrufend: „Das ist nicht der Herr Schmitz!“, trötete in ein Posthorn (mir gellten die Ohren) und drehte sich dann noch einmal grimmig zu mir um. Der Gesichtsausdruck entsprach in etwa dem, den er hatte, als er nachmittags immer wieder
nein - die Schnee­glöckchen! rufend aus dem Garten gekommen war. Wachte schweißgebadet und mit einem Summen im linken Ohr auf.

Der Tag verging in... fast absoluter Stille. Nur mittags das Klackern des Briefkastens, abends telefonierte Clasen wieder lange. Wo soll das alles nur hinführen?


Sonntag, 22. Februar

Wieder schlecht geschlafen. Doch für Albträume fehlte mir anscheinend die Energie. Auch Clasen schlich morgens nur so durch die Gegend.

Mittag kam Ralph mit einer uralten Reisetasche. Ich umtänzelte das Ding schnuppernd um herauszukriegen, was drin ist. Es roch alles nach Ralph mit 'ph'. - Will er mich entführen? Im Ausland aussetzen? Wozu das hässliche Ding? Ein Bastkörbchen hätte mehr Stil! Nein! Schultern gestrafft! Haltung! Ich werde das alles hier überstehen! - Das waren so in etwa die Gedanken, die kreuz und quer durch mein Hirn stoben wie aufgescheuchte Rebhühner..., kurz bevor Ralph mit der Reisetasche die Treppe hochging Richtung Gästezimmer und ich endlich begriff, dass er die Woche hier mit mir verbringen wird.

Abends große Kocherei. Zwei! Rotweinflaschen wurden geleert!! Ich lach mich tot ... Askese, Stille, Selbst­erkenntnis! Wuff! A propos Selbsterkenntnis: Nach dem Essen erzählte Ralph, er hätte irgendwo gelesen, ein ge­wisser Thomas Buddelhoff würde vermuten, er sei so unbeliebt, ziehe soviel Hass und Häme auf sich, weil er nun ein­mal den erfolgreichen  Manager repräsentiere. Er sei sehr international, mehrsprachig  und habe sehr viel Geld ge­macht. Habe Clasen schon lange nicht mehr so befreit lachen hören. Verstehe ich nicht. Menschen! Mir tut der Buddelhoff leid, der als kleiner Junge nachmittags bestimmt immer Vokabeln büffeln musste und nur sonntags mal im Garten buddeln durfte. Dann verdient er endlich viel Geld und keiner mag ihn.


Montag, 23. Februar

Wachte heute morgen sehr früh auf. Das erste, was ich in der Morgendämmerung sah, war eine Katze, die nach Höherem strebte: die Pfoten am Stamm unseres Apfelbaumes, betrachtete sie ge- und entspannt zugleich einen Spatz  hoch oben im Geäst. Bekam Bauchschmerzen und legte mich noch einmal hin.

Wurde kurz darauf wieder wach. Clasen und Ralph redeten leise im Flur. „Mach’s gut! Komm entspannt wieder!“ Dann spürte ich kurz Clasens Hand auf meinem Fell. Er wisperte mir leise ins Ohr: „Bis bald, Schneeglöckchen-Mörder!“ Ich beschloss, nur auf den Ton dessen, was ich gehört hatte, zu reagieren, rappelte mich auf und sprang um ihn herum, doch traurig und ohne Kraft. Mir war als ob ich dabei Clasens schweren, alten Lammfellmantel tra­gen müsste. Ich krächzte ihm zu: „Ich komme klar. Meine Ahnen haben schon Schafe gerissen, als die Deinen noch an der Entdeckung des Feuers knobelten.“ Keine Ahnung, ob das stimmt, doch ich denke, es kommt auch hier auf die  hinter den Worten stehende Haltung an, die ich ihm vermitteln wollte.

Am Nachmittag zwang Ralph mich zu einem Spaziergang. Mir tat alles weh. Ich hatte auch Schluckbeschwerden! Aber nein, Ralph zog mich unbeirrt und rücksichtslos weg von Zuhause. Er fegte förmlich durchs Viertel. Erst als wir uns wieder heimatlicheren Regionen näherten, verlangsamte sich sein Schritt. Hatte zwei Begegnungen, die mir zu denken gaben. Eine Hundedame lächelte mich schon weitem an und grüßte mich freundlich. Erst als sie vorbei war, erkannte ich Molly, die Schäferhündin unseres Stammwirtes. Kam mir schlanker vor. Kann sein, dass es daran lag, dass sie ihren Winterpulli nicht mehr trug. Ihr Strahlen wärmte mich noch ein ganzes Weilchen...es wird milder draußen.

Kurze Zeit später pflanzte sich ein junger, sympathischer Boxer vor mir auf, legte den Kopf schief und sagte fra­gend „Emil?“. Ich klärte ihn freundlich auf, dass ich nicht Emil bin. Und das tat mir fast leid. Habe gegen die Be­kanntschaft mit einem so liebenswürdigen Vertreter der jüngeren Generation nichts einzuwenden.

Zuhause nur noch ein bisschen Wasser und dann ab ins Körbchen. Ralph sah mir besorgt hinterher. Damit musst Du al­lein fertig werden, Ralph! Mach dir ruhig Gedanken! Über mich!

Grübelte dann selbst ein wenig. Dachte nach über ‚erkennen' und ‚erkannt werden'. Warum habe ich Molly so spät er­kannt? Lag’s nur am Pullover oder war es dieses neue Strahlen, mit dem sie heute durch die Gassen stolzierte? Und was sah der junge Boxer in mir? Mein allerletzter, wehmütige Gedanke galt Clasen.

Dienstag, 24. Februar
Sehr gut geschlafen! Und lang! Machte mich mit Appetit über mein Futter von gestern Abend her. Oben noch alles ruhig. Stellte mir vor, wie sich Ralph gestern noch lange besorgt hin- und hergewälzt hat, bevor er dann in einen un­ruhigen Schlaf fiel.

Ein Tag zum ‚Durchs-Küchenfenster-Sinnieren'! - durch das heute frische, belebende Luft strömte...strömen konnte, weil Ralph gestern Abend vergessen hat, es zu schließen. Wickelte mich gelassen in seinen Schal und gab mich mei­nen Betrachtungen hin. Sah, wie sich nebenan die kleine Laura auf den Weg zur Schule machte...die ehemals kleine Laura. Jetzt trägt sie Lippenstift und Bikerboots. Heute komplettierte u.a. ein T-Shirt, auf dem den Mond an­heulende Wölfe zu sehen sind, ihr Outfit. Geschmack hat sie ja! Hörte noch ihr zum Abschiedsritual gehörendes, „bin ich schön?“. Mein Gott, bin ich froh, dass ich das alles hinter mir habe. Ich muss niemandem mehr gefallen.

Oben Rumoren. So früh? Ralph kam telefonierend die Treppe herunter. „Verstehe nichts von Hunden. Meinst Du, dass es am Futter liegt?“, hörte ich noch, bevor er in der Küche verschwand. Versuchte seinen Schal elegant auf den Bo­den gleiten zu lassen.

Nachtrag: Er hat es wieder getan! Strammer Spaziergang mit Ralph am Nachmittag. Diesmal in Richtung Innen­stadt. Überlegte kurz gegen Ende, ob ich eine Erkältung simulieren oder humpeln sollte. Kam aber zu dem Schluss, die Möglichkeiten, die diese Ideen bereit halten, Zuhause in Ruhe zu erwägen.

Mittwoch, 25. Februar
Gut geschlafen und heute noch länger! Mein erster Gedanke: Clasen fehlt mir, der zweite: nur noch drei Tage!
 
Beschloss, ein wenig Ordnung in mein Körbchen zu bringen. Brauche diesen ganzen Tinnef nicht. Und dann zu mei­nem Lieblingsplatz. Wenig später stand Ralph mit einem Kaffee neben mir. Ich begann mich gerade zu fragen, warum wir in letzter Zeit so wenig Post kriegen, als die Postbotin vorüber radelte und Ralph mit einem Ruck die Kaf­feetasse hinstellte, hörbar die Luft einsog, seine Hände auf der Fensterbank abstützte und sein Blick so etwas Starres bekam. Meine Gedanken überschlugen sich: Was ist denn mit dem los? Ein sich anbahnender Infarkt? Hat er sich bei der Dosierung seines Kaffees vertan? Das täte mir leid. Ich habe entschieden, an der Seite Ralphs mit ph tap­fer und klaglos die Clasenlose Zeit zu meistern, aber nicht allein!!



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