Donnerstag, 26. Oktober 2017

Passauer Sonntagsplätzchen

Ich erinnere mich, wie ich sonntags auf der Holzeckbank am Kaffeetisch bei meiner Oma saß – in der boarisch´n Bauernstub´n, wie meine Tante sie zu nennen pflegte. Diesen Ausdruck lernte ich allerdings erst später kennen –
nach dem Tod meiner Großeltern, als sie sie sich unter den Nagel gerissen hatte, bevor meine Mutter auch nur ein "Äh" herausbringen konnte. Die ganze Einrichtung aus echtem Kirschbaumholz gearbeitet und alles handgedrechselt, und die Schreinerfiguren auf der Eckkommode selbstgeschnitzt!

"Sovuie wert, wia des is!", das brauchte sie meiner Mutter nicht tausendmal vorzusagen, die wusste das schon selbst, war sie doch aus demselben Schreinermeisterholz geschnitzt wie die Tante.
Boarisch waren sie allesamt, auch ich, Bauern schon nicht mehr. Sosehr sie die Großmama, also meine Urgroßmutter, samt ihrer Gaben, die sie von ihr während des Krieges aus dem kleinen Hof erhalten hatten, in den Himmel hoben, so verteufelten sie die Verabscheuungswürdigen, die Nichtsnutzen und Schlampen.

Achja – "sie", dabei handelte es sich um die drei Frauenschnäbel, die um den Tisch saßen. Die Männer hielten für gewöhnlich den Mund. Am meisten mein Vater. Unbeteiligt saß er neben mir und füllte seine tauben Ohren mit WerweißwelchenGedanken. Ich nehme an, dass sie ihn zur Arbeit führten. Zu der, die er noch nicht erledigt hatte, wofür er sich geißelte, oder zu der, die an dem Tag noch zu tun war. Oder fantasierte er sich etwa in fernere Zukunft? Erbaute sich sein Kopf an Skizzen und Plänen unter dem Titel "Was ich mal noch machen will"? Ein Schlafzimmer für ihn und seine Frau? Eine selbstgezimmerte Wohnzimmereinrichtung, auf die meine Mutter schon so lange hoffte, wozu nie die Zeit war? Oder die notwendige Treppe in dem neuen Haus, an dem er schon seit über 10 Jahren baute?

"Des Maral, des is scho so a dammesch´s Weibaleit! De war scho ollowei a so a Brennde! An Kennsteaus hot de na nia g`hobt! Wias ollowei...", ich sitze und höre.

Meine Ohren nehmen im Gegensatz zu denen meines Vaters noch alles auf, jedes Wort, jede Silbe. Aus den oft hintergründigen Bedeutungen erkennen sie nur, dass es schlecht ist, was die Nachbarsfrau, die Frau von Opas Cousin, getan hat. Und dass es böse ist, wie über sie geredet wird.

In meine Seele fallen Beile, werden Herzen zerhackt, Leiber geschlachtet, stinkende Gedärme im Feuer verbrannt. Höllenfeuerzungen verschlingen sie.

Sollen sie! Nein, werden sie, das ist sicher! Für das, was sie getan, wie sie gelebt haben. Gegen Gott und seine Gesetze! Moralische Abrechnungen schnüren sich wie Schlingen um meinen Hals, versagen mir die Stimme. Eine Stimme, die ich nur habe, wenn ich meinem Vater erzählen kann, der - trotz seines schlechten Gehörs - ganz Ohr für mich ist. Der einzige, der mir zuhört.

Zu meinem Opa hatte ich wenig Beziehung, aber soweit ich mich an diese sonntäglichen Begegnungen erinnere, hat er wenig zu den Gesprächen beigetragen, jedenfalls nicht weiter Holz ins Feuer gegeben.

Aber ich - ich hätte gern was gesagt, manchmal, nicht oft. Was, das weiß ich nicht mehr. Nur an das Gefühl, dass da was hochwill, von Unten nach Oben, von Innen nach Außen, sich befreien von der Enge und Eingesperrtheit, der drohenden Vergärung im eigenen Saft entkommen möchte, an das erinnere ich mich noch sehr gut. Das zeitweilige Augenblinzeln meines Vaters bestärkte mich darin. Aber Kinderworte waren nicht erwünscht, galten nichts, ja, sie wurden gescholten. Schließlich wusste ich ja, was mit Frauen geschah, die ihren Mund zu weit aufmachten!

Regina Gimpel

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