Mona Sonniack hatte zwei
bemerkenswerte Talente. Das erste, nämlich die Fähigkeit, Menschen für sich
einzunehmen, entwickelte sie bereits in frühester Kindheit, denn sie hatte
entdeckt, dass ihr Lachen in Verbindung mit einem Bitte-bitte-Händeklatschen
Begeisterung in die Gesichter der Erwachsenen zaubern konnte und ihr meist das
Gewünschte einbrachte. So lernte sie bald, sich mit Lächeln und Schmeicheln und
Bitten und manchmal auch mit kleinen Schwindeleien durchs Leben zu schlängeln.
Die zweite bemerkenswerte Fähigkeit, die des nachdrücklichen Neinsagens,
entwickelte sie erst in ihren späteren Jahren. Dazu muss gesagt werden, dass
Mona, die zu einer hübschen, etwas üppigen jungen Frau mit wilden
haselnussbraunen Locken und Grübchen in den Wangen herangereift war, trotz
ihres Talentes im Umgang mit Menschen kein Geschick in der Partnerwahl bewies.
Vielleicht erblich bedingt – eine Großtante mütterlicherseits hatte ein
ruchloses Leben geführt -, vielleicht aus Langeweile im Alltag als Sekretärin
einer Versicherungsgesellschaft und der
Sehnsucht, etwas Besonderes zu sein und zu erleben, suchte sie bei Männern
stets das Abenteuer. Sie hatte leider – das muss hier ebenfalls eingeräumt
werden – einen gewissen Hang zum Niederen. Ihr erster Mann verprügelte sie
regelmäßig und ließ sie nach drei Jahren mit Kind sitzen, der zweite tröstete
sie zwar leidenschaftlich, hegte aber eine noch größere Begeisterung für
schnelle Autos und überredete sie, einen Kredit für ein BMW-Cabrio mitzuunterzeichnen,
was sie tat, und einen Sommer lang genoss sie den Luxus des Beifahrens im
schicken Outfit, genoss in vollen Zügen
das Ausgeführt- und Vorgezeigtwerden und die neidischen Blicke der anderen. Im
November, beim ersten Glatteis des Herbstes, fuhr ihr Liebster den Wagen zu
Schrott, setzte sich später in die Staaten ab und ließ Mona mit den Kreditraten
zurück. Sie zahlte viele Jahre daran, zog ihr Kind auf und schickte den
nächsten Mann in die Wüste, bevor er sie mit seinem Hang zu teuren Hifi-Geräten
restlos ruinieren konnte.
Im Gegensatz zu ihrem
aufreibenden, wechselvollen, von Hoffnungen, rauschhafter Euphorie und mancher
Ernüchterung geprägten Privatleben
verlief ihr beruflicher Werdegang in unaufgeregten, gleichförmigen Bahnen. Sie
schrieb und sortierte von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr, legte Akten an und ab und
kochte manchmal Kaffee. Sie war freundlich und hilfsbereit, letzteres geschickt
platziert, und im übrigen hatte sie es sich im Laufe der letzten fünfzehn
Jahren in immer derselben Abteilung bequem eingerichtet. Nicht unerheblich
geholfen hatte ihr dabei ihr „energisches Nein“. Es war an ihrer
Geburtstagsfeier gewesen, zum siebten Mal feierte sie ihren 39. Geburtstag
- sie weigerte sich hartnäckig, vierzig
zu werden –, als sie ihre Fähigkeit erkannte. Eine besonders lästige Kollegin
aus der Schadensabteilung brachte ihr ein weiteres Band zum Schreiben, während
sie gerade den Kuchen anschnitt. Eilsache! Auch das noch, hatte sie doch gerade
den Neuen aus dem Nachbarbüro entdeckt; interessanter Mann, irgendwie anders,
Typ Outlaw….
„Nein!“ Es kam schnell und knapp
wie ein Peitschenschlag aus Monas Mund. Die Kollegin zuckte zurück. Ihre linke
Wange schmerzte und färbte sich in einem schmalen Streifen rot. Verdutzt und
etwas unschlüssig, die Blicke der anderen auf sich fühlend, legte sie das Band
auf den nächstbesten Schreibtisch. „Einigt euch“, sagte sie achselzuckend,
„aber raus muss es heute noch.“.
Mona beobachtete das Phänomen
interessiert und dachte nach. Das dauerte eine Weile, aber in den nächsten Monaten
spuckte sie bei besonders unangenehmen
Sonderaufgaben das scharfe, kurze „Nein“ zielgenau in das Gesicht ihres
Gegenübers. Das zuckte stets zurück, verwirrt, zögernd, meist nachgebend. Der
Kollege aus dem Kostenressort, der montags immer unerträglich nach Knoblauch
stank, hatte für ein paar Tage eine geschwollene Lippe, Lisbeth M. aus der
Kundenbetreuung ein Hämatom am Hals und Lise W., ihre Erzrivalin, kaschierte
eine Woche lang ein Veilchen. Mona lernte, ihr „Nein“ zu dosieren und
vervollkommnete es bis zur Perfektion. Man begann, sie in Ruhe zu lassen. Ärgerliche
Zusatzarbeiten fanden den Weg stets auf andere Schreibtische, der ihre blieb
meist verschont. Sorgsam achtete sie darauf, dass er niemals leer war und von
links nach rechts wandernde Aktenstapel den Eindruck emsiger Tätigkeit
vermittelten. Klug behielt sie ihr freundliches, bei männlichen Kollegen auch
kokettes Verhalten ebenso bei wie ihre wohlgesetzte Hilfsbereitschaft.
Das ging so lange gut, bis ein
neuer Abteilungsleiter Unruhe in die eingefahrenen Bahnen brachte. Dr. Hubert
Roggenhoff war ein blasser, hagerer und ehrgeiziger Mittfünfziger, der ständig
zwischen den Schreibtischen hin und her wuselte, Fragen stellte und Statistiken
zur Arbeitsbelastung erstellen ließ. Er entdeckte bald, dass Monas
Arbeitsbelastung mit Abstand am geringsten, dafür der Duft ihres Parfums -
schwere, süße Vanille – allgegenwärtig war, was ihn doppelt verdross,
verabscheute er doch Vanillegeruch. Im übrigen war er weiblichen Reizen
gegenüber weitgehend unempfänglich und er störte sich an Monas Mähne und an
ihrem Dekolleté genauso wie an ihrem Duft, wegen dem sich mit der Zeit bei ihm Nießattacken
einstellten. Monas Leben begann komplizierter zu werden; sie fühlte sich
überwacht, musste sich manche Zusatzaufgabe gefallen lassen und ihr ganzer
Charme versprühte nutzlos im Gespräch mit dem humorlosen Gegenüber. Sie fühlte
sich erschöpft und wurde immer reizbarer.
Es war ein Freitagmittag im
Frühsommer – Mona war bereits gestylt für einen Stadtbummel mit der zweitbesten
Freundin -, als Dr. Roggenhoff, nicht ohne zu niesen, zwei Akten auf ihren
Tisch warf mit der Bemerkung: „in einer halben Stunde zur Unterschrift, das
eilt.“
„Nein!“ Monas Antwort kam ungewollt,
unkontrolliert und wie aus der Pistole
geschossen. Roggenhoff stand einen Moment starr, den Mund vor Verblüffung halb
geöffnet, dann brach sein Blick und er sackte zusammen. Verflucht, der war aber
auch empfindlich… Mona bezähmte die aufsteigende Panik und wählte die 112. Zwei
Kolleginnen stürzten aus dem Nebenzimmer und versuchten sich an der Mund-
zu-Mund-Beatmung, aber es war zu spät. Der eintreffende Notarzt stellte den Tod
fest und verständigte nach einem Blick auf Roggenhoffs Stirn die Polizei.
Deutlich sichtbar leuchtete zwischen den Augen des Toten ein kleiner roter
Kreis.
Kriminalhauptkommissar Gregor
Winter, über den verpatzten Feierabend mindestens so verärgert wie Mona, führte
die Ermittlungen. Er hatte eine Leiche, die ein mit feinen Schmauchspuren
umrandetes Mal auf der Stirn trug, jedoch ohne, dass eine Kugel die Stirn
berührt hatte, und ein paar völlig aufgelöste Versicherungsangestellte. Mona
weinte drei Krokodilstränen, sank
erschöpft auf einen Bürostuhl und nahm dankbar den Cognac an, den Winter ihr
anbot und der gnädig den schwachen Pulvergeruch aus ihrem Mund überdeckte.
Die Ermittlungen dauerten Monate
und verliefen zu Winters Verdruss schließlich im Sand. Als offizielle
Todesursache galt eine Gehirnblutung mit unbekannter Ursache. Mona hielt ihre
Zunge nun eisern im Zaum, doch war das ein täglicher Kampf, denn die Mehrarbeit
war ihr geblieben und die Kollegen hielten seit dem Unfall eine gewisse Distanz
zu ihr. Zudem hatte Rudi, ihr letzter Lebensabschnittsgefährte, sie schnöde
verlassen und ihre Tochter war schwanger, was ein Grund zur Freude hätte sein
können, aber sie wollte nicht Oma werden, denn Oma sein bedeutete alt sein. Sie
war jung, dynamisch und attraktiv. Zumindest hatte ihr das die Ärztin aus der
ästhetischen Chirurgie versichert, die vergangenes Jahr an diversen Stellen
ihres Körpers und Gesichtes diskrete Restaurierungsarbeiten vorgenommen hatte,
was Mona nicht nur ihren Jahresurlaub, sondern auch einen Batzen Geld gekostet
hatte und ihr nun zwar einen besonders wirkungsvollen Augenaufschlag und ein beeindruckendes
Dekolletébeben gestatteten, sie jedoch zwangen, weiter zu arbeiten, um die
Kreditraten zu tilgen. Rudi fiel dafür ja jetzt aus…Sie sah in den Spiegel und
seufzte. Sie würde wieder suchen müssen; es war so mühsam!
Die Chance ihres Lebens bot sich
mit Patrick Leverson, mit dem sie vor dem Fahrstuhl zusammenstieß und dessen
Aktenkoffer ihr dabei auf den Fuß fiel. Leverson, Mitte sechzig, frisch
verwitwet und wegen Fragen zur Lebensversicherung der verstorbenen Gattin im
Hause, war durch deren plötzlichen Tod gänzlich aus der Bahn geworfen, etwas ratlos,
schusselig und einsam, vor allem aber außergewöhnlich wohlhabend. Mona erfasste
all dies mit dem Instinkt der geübten Jägerin. Er lud sie ein, sie ließ sich
einladen. Sie setzte ihre Reize ein, doch ganz dezent. Nie traf der
wirkungsvolle Augenaufschlag seinen Blick, stets richtete er sich lächelnd in
die Ferne. Ihr Busen bebte unter zarter Spitze. Sie gab sich hilfsbedürftig,
fürchtete sich im Dunkeln, benötigte Rat bei technischen Dingen. Mit kleinen Gesten bekundete
sie weibliches Mitgefühl, sorgte sich um seine Gesundheit, ließ häusliche
Talente aufblinken. Er zeigte sich ritterlich, begleitete sie stets zur
Haustür, reparierte ihren Toaster und nahm ihre Kräutermischungen an. Er schätzte
sie als Begleitung bei gelegentlichen Restaurant- und Theaterbesuchen, war
dankbar für ihr unkompliziertes, fröhliches Naturell, erzählte von seinem
Rosengarten, den seltenen, alten Apfelsorten und blieb ihr gegenüber freundlich-reserviert.
Behutsam begann sie, ihre Reize deutlicher einzusetzen, zeigte offenkundigeres
Interesse. Er blieb weiter freundlich-reserviert. Sie zog sämtliche Register,
beriet sich mit ihrer allerbesten Freundin, ja, sie wechselte sogar das
Parfum, als er einmal beiläufig eine
abwertende Bemerkung über Vanille machte.
Das hielt sie ein Jahr durch und
als sie schon resigniert aufgeben und das Projekt als gescheitert betrachten
wollte, begann er, zurückhaltend um sie zu werben. Auf eine altmodische, ein
wenig steife Art machte er ihr den Hof und als er sie in das beste Restaurant
der Stadt einlud, tanzte sie durch die Wohnung. Gewonnen! Ein Jahr hatte sie
fast zölibatär gelebt, der eine kleine Ausrutscher zählte nicht. Herrgott,
irgendwie musste man schließlich die Nerven beruhigen! Auch ihr „energisches
Nein“ hatte sie beherrscht, was große Mühe gekostet hatte, denn dieses Talent
entwickelte eine Art Eigenleben in ihr, das nicht ganz leicht zu bändigen war.
Ein einziges Mal – ausgerechnet, als ein Polizist sie bei der Ausstellung eines
Strafzettels fragte, ob sie das Halteverbotsschild nicht gesehen habe – entkam
ihr das kleine Teufelchen. Hart und spitz traf es genau den Nasenrücken des
Beamten und der Nasenbeinbruch musste stationär behandelt werden. Sie hatte im
Präsidium den Hergang zu schildern, das Protokoll zu unterschreiben und durfte
wieder gehen. Beim Verlassen des Gebäudes begegnete sie Hauptkommissar Winter,
der sie misstrauisch musterte und sie beeilte sich fortzukommen. Im übrigen
hatte sie an ihrem Arbeitsplatz brav und unauffällig ihre Aufgaben erledigt und
bei Dr. Roggenhoffs Nachfolger durchaus Punkte sammeln können. Punkte sammeln!
Wie ein Eichhörnchen! Aber damit war jetzt Schluss. Genüsslich räkelte sie sich
und strich über ihre immer noch schlanke, wohlgeformte Wade. Sie würde
Leversons Jungbrunnen sein! Unter ihren kundigen Lippen und Händen würde er
eine nie gekannte Lust und Lebensfreude erfahren, ohne die er nicht mehr sein
konnte. Sie würde sich seiner Person, seines Hauses, seines Gartens und seines
Vermögens annehmen, dass es auch ihr eine Lust war. An diesem Abend stand sie
lange vor dem Spiegel.
Er holte sie ab und als sie
seinen bewundernden Blick sah, fühlte sie ein Knistern, das sie innerlich
förmlich überkochen ließ. Lächelnd sank sie in den Ledersitz des Wagens, galant
schloss er ihre Tür. Das „Agora“ war unaufdringlich edel, die Beleuchtung
dezent, die Kellner beflissen, ohne aufdringlich zu sein. Aus den Lautsprechern
klang sehr leise Klaviermusik. Sie begannen mit Champagner und er stellte das
Menü zusammen. Ihre Augen strahlten über dem funkelnden Glas, als sie sich
zutranken. Sie genoss das 7-Gänge-Menü mit allen Sinnen, diese Pretiosen auf
dem Teller, die unbeschwerte Vorfreude auf den nächsten Gang, den
hervorragenden Wein. Sie plauderten über Alltäglichkeiten, das Wetter, die ausdauernde
Blüte der Rosen in diesem Jahr, die reiche Apfelernte, den immer noch milden
Winter; er dankte ihr für ihre stets heitere Art, mit der sie ihm über die
schwersten Monate seines Lebens hinweggeholfen habe. Sie schnurrte vor
Zufriedenheit. Nach den Gurken-Cous-Cous-Törtchen an Radieschensorbet legte sie
ihr Jäckchen ab. Ihr teures Dekolleté kam gut zur Geltung im sanften Licht der
mattierten Leuchten. Sie lächelte. Nach den Kalbsnüsschen auf Fenchelgratin an
Kartoffelröschen erbat er sich beim Kellner eine Pause und griff zur
Innentasche seines Jacketts. Mona strahlte. Jetzt – jetzt würde er fragen… Ganz
leicht neigte sie den Kopf und blickte ihm tief in die Augen. Leverson
erwiderte ihren Blick mit einem warmen Lächeln.
„Möchtest du…“ begann er und
räusperte sich. „Darf ich dich einladen, ein Apfelseminar…“
„Nein!“ Mona erstarrte und begriff
die Katastrophe, bevor das Wort von ihren Lippen gesprungen war, oder vielmehr,
bevor es, elektrisiert von der sinnlichen Stimmung des Abends und befeuert von
ihrer Erwartung von den Lippen
geschossen wurde – und punktgenau traf. Patrick Leverson sah sie mit milder
Überraschung an, öffnete den Mund und schloss ihn wieder, bevor er mit der linken
Hand an die Brust griff, sie staunend wieder wegnahm, weil sie nicht greifen
konnte, was sich wie ein tödlicher Stachel anfühlte. Dann sank er, das
Tischtuch haltsuchend mit sich ziehend, vom Stuhl. Mona starrte auf das Chaos
zu ihren Füßen und entschied sich für eine Ohnmacht.
Eine Stunde später blickte Hauptkommissar
Winter grimmig auf die Leiche mit dem rotgeränderten Brandfleck auf dem
Jackett, auf die leichenblasse, krampfhaft weinende Mona und wusste, dass ihm
nicht nur dieser Abend verdorben war. Die Spurensicherung sicherte akribisch
jeden Quadratzentimeter und beförderte dabei einen Seminarprospekt von Gut Reinettenhof
mit Hotelunterlagen und Buchungsbestätigung
aus der Innentasche von Leversons Sakko. Dahinter befand sich die
Rechnung einer renommierten Goldschmiede, ausgestellt für die Fertigung eines
Ringes, Gelbgold 750, mit Brillant 0,75 ct., weiß, VS1. Winter starrte eine
Weile darauf, dann wandte er sich Mona zu.
„Sieht aus, als hätte er Sie zu mehr als einem Pfropfseminar einladen
wollen.“ Er schüttelte gedankenverloren
den Kopf. „Manche Leute haben aber auch ein Pech“.
08.10.17/26.11.17
Sonja Meier
Sonja Meier
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