Mittwoch, 10. Januar 2018

Hausgenossen

Zu behaupten, Vater hätte Tiere generell nicht gemocht, wäre falsch, aber er trennte ihren Lebensbereich strikt von dem des Menschen, was das Halten von Haustieren  - im Sinne des Wortes – logischerweise ausschloss. Hund und Katze gehörten ebenso wenig ins Haus wie Hasen, letzte dienten im übrigen als Fleischlieferant. Gut, zu einem Hund haben wir es ohnehin nie gebracht, aber neben den Hasen gab es in meiner Kindheit auch eine Katze, deren Aufgabe es war, die Mäuse in Schach zu halten und die in einer von meiner Großmutter eigens aus Ziegelsteinen erbauten und mit Stroh und Decken gepolsterten Hütte schlief. Im Haus hatte sie nichts zu suchen, was sie hin und wieder vergaß und stolz eine mehr oder weniger tote Maus als Geschenk in die Küche trug. Meine Mutter, die panische Angst vor Mäusen hatte, rief dann, auf einem Stuhl stehend um Hilfe, die Maus wurde entfernt und die Katze, die die Welt nicht mehr verstand, verschwand beleidigt nach draußen. Es dauerte dann mehrere Wochen, bis sie es erneut mit einer Liebesgabe versuchte, doch wurde sie geiziger und brachte meist nur mehr den Kopf. Nach einem Wurf von fünf bezaubernden, völlig unterschiedlichen Jungen, die alle weggegeben wurden, verschwand auch sie und da sich die Mäuse offenbar anderen Orts angesiedelt hatten, blieb mein Zuhause die nächsten zehn Jahre katzenlos. Das war schade, denn einem Haus ohne Katze fehlt die Seele.
Ich war zwanzig und lebte schon zwei Jahre in einer eigenen kleinen Wohnung im Rückgebäude, als ich das änderte und Peter mitbrachte, einen rotgetigerten, pummeligen und etwas o-beinigen Kater aus der Oberpfalz. Er mochte zehn Wochen alt gewesen sein und nach dem ersten Winter hieß er bei allen  „Schnäuzelchen“, weil seine Nase purpurrot anzulaufen pflegte, wenn er nach einem Streifzug in frostiger Luft zum Aufwärmen ins Haus kam. Als echter oberpfälzer Kater kannte er keine Furcht und war überall, ohne zwischen Vorder- und Hinterhaus zu unterscheiden, was meinen Vater verdross, der erstens Tierhaltung generell untersagt hatte und zweitens sein Bett nicht mit einem roten Fellbündel teilen wollte. Peter stieg nämlich manchmal morgens zur Erholung nach einer aufregenden Nacht durch das geöffnete Fenster ins elterliche Schlafzimmer ein und ließ sich – obwohl das Bett meiner Mutter näher am Fenster stand – immer in dem meines Vaters nieder. Sein Geruch muss ihn angezogen haben. Vermutlich spürte er eine Seelenverwandtschaft: männlich, schweigsam, unbesiegbar. Hin und wieder stahl er etwas; wenn es gelang, dann meist im Vorderhaus, wo die Türen in der Regel offen standen und die Küche reicher bestückt war als meine. Einmal schleckte er die Sahne von einer Eierlikörtorte, die Mutter für Gäste gebacken hatte, und torkelte dann angetrunken über die Terrasse, um unter dem gedeckten Tisch alles wieder von sich zu geben.
Wurde der Kater ertappt, verjagte man ihn mit viel Geschimpfe und Vater drohte, er werde „das Vieh irgendwann erschlagen“. Begegnete er ihm im Garten, scheuchte er ihn, oft warf er einen Stein nach ihm. Ich spuckte jedes Mal Gift und Galle, obwohl der Stein niemals traf. Peter hingegen ertrug es mit katzenphilosophischer Gelassenheit und veränderte sein Verhalten nicht nennenswert. Nur von Eierlikör hielt er nun konsequent Abstand.
Es war ein heißer Sommertag, an dem ich wegen elender Kopfschmerzen das Büro vorzeitig verließ und mittags heimkam. Niemand erwartete mich. Es war diese stille Stunde des Tages, in der alles schweigt, sogar der Spatzenrat. Die Luft stand flirrend heiß zwischen den Häusern und die Zeit schien stillzustehen, als wäre selbst ihr Fortschreiten zu anstrengend. Ich sah sie im Gegenlicht als Schatten, ein großer und ein kleiner, beide von hinten, still nebeneinander. Mein Vater, auf der Kante der Terrasse sitzend, die Füße im Gras, links an seiner Seite der Kater, den Schwanz sorgfältig um seine Pfoten geringelt, beide regungslos nach vorne blickend. Dann hob mein Vater seine Hand, sehr langsam, als müsse er die Bewegung sorgfältig abwägen,  und strich behutsam über Kopf und Rücken des Katers.
Ich schlich ins Haus und schloss ganz leise die Tür.


Sonja Meier
27.11.17

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