Zu behaupten, Vater hätte Tiere
generell nicht gemocht, wäre falsch, aber er trennte ihren Lebensbereich strikt
von dem des Menschen, was das Halten von Haustieren - im Sinne des Wortes – logischerweise
ausschloss. Hund und Katze gehörten ebenso wenig ins Haus wie Hasen, letzte
dienten im übrigen als Fleischlieferant. Gut, zu einem Hund haben wir es
ohnehin nie gebracht, aber neben den Hasen gab es in meiner Kindheit auch eine
Katze, deren Aufgabe es war, die Mäuse in Schach zu halten und die in einer von
meiner Großmutter eigens aus Ziegelsteinen erbauten und mit Stroh und Decken gepolsterten
Hütte schlief. Im Haus hatte sie nichts zu suchen, was sie hin und wieder
vergaß und stolz eine mehr oder weniger tote Maus als Geschenk in die Küche
trug. Meine Mutter, die panische Angst vor Mäusen hatte, rief dann, auf einem
Stuhl stehend um Hilfe, die Maus wurde entfernt und die Katze, die die Welt
nicht mehr verstand, verschwand beleidigt nach draußen. Es dauerte dann mehrere
Wochen, bis sie es erneut mit einer Liebesgabe versuchte, doch wurde sie
geiziger und brachte meist nur mehr den Kopf. Nach einem Wurf von fünf
bezaubernden, völlig unterschiedlichen Jungen, die alle weggegeben wurden,
verschwand auch sie und da sich die Mäuse offenbar anderen Orts angesiedelt
hatten, blieb mein Zuhause die nächsten zehn Jahre katzenlos. Das war schade,
denn einem Haus ohne Katze fehlt die Seele.
Ich war zwanzig und lebte schon
zwei Jahre in einer eigenen kleinen Wohnung im Rückgebäude, als ich das änderte
und Peter mitbrachte, einen rotgetigerten, pummeligen und etwas o-beinigen
Kater aus der Oberpfalz. Er mochte zehn Wochen alt gewesen sein und nach dem
ersten Winter hieß er bei allen
„Schnäuzelchen“, weil seine Nase purpurrot anzulaufen pflegte, wenn er
nach einem Streifzug in frostiger Luft zum Aufwärmen ins Haus kam. Als echter
oberpfälzer Kater kannte er keine Furcht und war überall, ohne zwischen Vorder-
und Hinterhaus zu unterscheiden, was meinen Vater verdross, der erstens
Tierhaltung generell untersagt hatte und zweitens sein Bett nicht mit einem
roten Fellbündel teilen wollte. Peter stieg nämlich manchmal morgens zur
Erholung nach einer aufregenden Nacht durch das geöffnete Fenster ins
elterliche Schlafzimmer ein und ließ sich – obwohl das Bett meiner Mutter näher
am Fenster stand – immer in dem meines Vaters nieder. Sein Geruch muss ihn
angezogen haben. Vermutlich spürte er eine Seelenverwandtschaft: männlich,
schweigsam, unbesiegbar. Hin und wieder stahl er etwas; wenn es gelang, dann
meist im Vorderhaus, wo die Türen in der Regel offen standen und die Küche
reicher bestückt war als meine. Einmal schleckte er die Sahne von einer
Eierlikörtorte, die Mutter für Gäste gebacken hatte, und torkelte dann
angetrunken über die Terrasse, um unter dem gedeckten Tisch alles wieder von
sich zu geben.
Wurde der Kater ertappt, verjagte
man ihn mit viel Geschimpfe und Vater drohte, er werde „das Vieh irgendwann
erschlagen“. Begegnete er ihm im Garten, scheuchte er ihn, oft warf er einen
Stein nach ihm. Ich spuckte jedes Mal Gift und Galle, obwohl der Stein niemals
traf. Peter hingegen ertrug es mit katzenphilosophischer Gelassenheit und
veränderte sein Verhalten nicht nennenswert. Nur von Eierlikör hielt er nun
konsequent Abstand.
Es war ein heißer Sommertag, an
dem ich wegen elender Kopfschmerzen das Büro vorzeitig verließ und mittags
heimkam. Niemand erwartete mich. Es war diese stille Stunde des Tages, in der
alles schweigt, sogar der Spatzenrat. Die Luft stand flirrend heiß zwischen den
Häusern und die Zeit schien stillzustehen, als wäre selbst ihr Fortschreiten zu
anstrengend. Ich sah sie im Gegenlicht als Schatten, ein großer und ein
kleiner, beide von hinten, still nebeneinander. Mein Vater, auf der Kante der
Terrasse sitzend, die Füße im Gras, links an seiner Seite der Kater, den
Schwanz sorgfältig um seine Pfoten geringelt, beide regungslos nach vorne
blickend. Dann hob mein Vater seine Hand, sehr langsam, als müsse er die
Bewegung sorgfältig abwägen, und strich
behutsam über Kopf und Rücken des Katers.
Ich schlich ins Haus und schloss ganz
leise die Tür.
Sonja Meier
27.11.17
27.11.17
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